Die politische Ablehnung von Herdenschutz, unzureichendes Krisenmanagement bei den großen Beutegreifern und die mangelnde Kooperation zwischen den Behörden und Landwirt:innen führen aktuell in der Gemeinde Nauders (Tirol) zu immensem Tierleid und ökonomischen Schäden. ANCA.at fordert die Unterstützung der Landwirt:innen und das Handeln der verantwortlichen Bezirksverwaltungsbehörden und Amtstierärzte bei „Gefahr in Verzug“ und weist darauf hin, dass Abschüsse allein keine weiteren Risse verhindern! Zum Wohl der Weidetiere muss Herdenschutz endlich ernst genommen werden – so wie auf den drei Projektalmen des Landes Tirols.
Strenger Schutzstatus des Braunbären nach Art. 16 FFH-Richtlinie
Der Braunbär (Ursus arctos) ist in der FFH-Richtlinie (92/43/EWG) in Anhang IV gelistet und somit eine streng geschützte Art. Für Arten dieses Anhangs gilt gemäß Art. 12 FFH-RL ein umfassendes Schutzsystem, das unter anderem das absichtliche Töten, Fangen, Stören sowie die Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten verbietet.
Eine Abweichung hiervon ist nur nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL möglich – und ausschließlich dann, wenn alle dreiVoraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- Vorliegen eines Ausnahmegrundes nach Art. 16 Abs. 1 lit. a–e (z. B. zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses).
- Fehlen einer anderweitig zufriedenstellenden Lösung (z. B. Einsatz von wirksamen Präventions- und Herdenschutzmaßnahmen).
- Fortbestehen eines günstigen Erhaltungszustands (EHZ) der Population trotz der Maßnahme.
Das bedeutet: Liegt auch nur eine dieser drei Bedingungen nicht vor, ist eine Entnahme rechtswidrig. Die Bewertung muss dabei auf lokaler, nationaler und biogeografischer Ebene erfolgen und darf nicht durch eine allein grenzüberschreitende Betrachtung relativiert werden.
Die aktuelle EU-Rechtsprechung (u. a. C-674/17, C-601/22, C-629/23) stellt klar, dass diese Prüfung vor jeglicher Entscheidung über eine Entnahme zu erfolgen hat. Zudem muss sie wissenschaftlich fundiert, auf aktuellen, belastbaren Monitoringdaten beruhend und unter Einhaltung der Aarhus-Konvention durchgeführt werden. Das umfasst insbesondere Transparenz, frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung und Zugang zu allen relevanten Umweltinformationen.
Da es in Österreich kein flächendeckendes, methodisch abgesichertes Monitoring gibt, kann ein günstiger Erhaltungszustand derzeit nicht nachgewiesen werden. Damit fehlt eine der zwingenden Voraussetzungen, sodass rechtlich keine Grundlage für Entnahmen besteht. Angesichts der dokumentierten kolossalen Fehlschläge bei Wolfsabschüssen ist ein Umdenken im Umgang mit dem streng geschützten Braunbären dringend erforderlich – hin zu Prävention, kooperativen Lösungen und der Schaffung einer gesicherten Datengrundlage.
Umdenken nötig
Seit dem Frühjahr 2025 ist im Gemeindegebiet von Nauders (Tirol) ein Bär nachgewiesen. Der Braunbär (Ursus arctos) ist gemäß der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union eine streng geschützte, im Anhang IV geführte Tierart. Letale Entnahmen, wie sie beim Wolf, bei fehlendem günstigen Erhaltungszustand (neun von 100 Rudel in Österreich), biologisch und ökonomisch wenig sinnvoll bis kontraproduktiv und der Aarhus-Konvention widersprechend, Praxis sind, werden sich beim Bär politisch nicht „durchpeitschen“ lassen.
In Nauders/Pfunds werden Meister Petz der Riss von Schafen und der eines Ponys zugeschrieben. Der zuständige, sehr bemühte Hirte (ohne Nachtpferch arbeitend) steht angesichts der Verluste vor unlösbaren Herausforderungen. Landwirte müssen davon ausgehen, dass jederzeit und überall in Tirol ein Wolf, Goldschakal oder auch ein anderer Beutegreifer wie der Bär eine Gefahr für ihre Tiere darstellen kann. EU-rechtswidrige Alm- und Weideschutzgesetze (EuGH-Urteil C-601/22), die auf dem Papier nahezu sämtliche Almen als „nicht schützbar“ klassifizieren, schieben die Verantwortung auf die Tierhalter selbst. De facto hat die Politik damit die volle juristische Verantwortung für Verluste und Tierleid von der öffentlichen Hand auf die Landwirte verlagert – eine Entwicklung, die in der Praxis zu massiven Veränderungen in der Almwirtschaft führen könnte.
Wie hätte man die Risse verhindern können?
Ein wirksamer Herdenschutz ist der Schlüssel, um Konflikte zwischen Braunbären und Nutztierhaltern zu vermeiden. Dabei ist es wichtig, sowohl auf bewährte Informationsquellen zurückzugreifen als auch die Schutzmaßnahmen an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen.
Wichtige Informationsquellen:
- LIFEstockProtect – EU-gefördertes Projekt mit Schwerpunkt auf Prävention von Schäden durch Großraubtiere, u. a. Bär, Wolf und Luchs. Bietet praxisnahe Leitfäden, Schulungen, Vor-Ort-Beratungen und Dokumentationen von Best-Practice-Beispielen.
- Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs – Offizielle Plattform mit aktuellen Empfehlungen, Monitoringdaten, Karten und Förderhinweisen.
- LfL Bayern – Institut für Tierzucht – Demonstrations- und Schulungszentrum für Herdenschutzsysteme in Mitteleuropa.
- Wolves and Humans / LIFE Bear-Smart Corridors – Internationale Beispiele für Herdenschutz in Bärengebieten, inkl. technischer Lösungen und Kooperationsprojekten mit Landwirt:innen.
- WWF & NABU Herdenschutzportale – Praxisbroschüren, Checklisten und Informationsmaterial für Tierhalter:innen.
Empfohlene Maßnahmen in Bärengebieten:
- Technische Schutzmaßnahmen
- Mehrdrähtige Elektrozäune mit einer Höhe von mindestens 1,20 m, einer Spannung von 6.000–8.000 Volt und einer Schlagenergie von 5–6 Joule.
- Bärensichere Tore, Metalltüren und Stalleingänge.
- Geschützte Bienenstöcke (bärensichere Gehäuse oder erhöhte, stromgesicherte Plattformen).
- Tiergestützte Schutzmaßnahmen
- Herdenschutzhunde (z. B. Maremmano-Abruzzese, Pyrenäenberghund, Karakachan) in ausreichender Anzahl pro Herde.
- Herdenesel oder Maultiere als ergänzende Maßnahme in offenen Geländen.
- Organisatorische Maßnahmen
- Nachtunterbringung in geschützten Gehegen.
- Anpassung der Weideflächenwahl in sensiblen Zeiten (z. B. während der Bärenaktivität im Frühjahr/Herbst).
- Kooperation mit Nachbarbetrieben für gemeinschaftliche Schutzsysteme.
Unterschiedliche Strategien – Zäunen oder Alternativen:
- Wo Zäune möglich sind:
- Einsatz stationärer oder mobiler Elektrozäune mit den oben genannten Mindestwerten (1,20 m Höhe, 6.000–8.000 V, 5–6 Joule).
- Kombination mit Herdenschutzhunden für doppelte Sicherheit.
- Regelmäßige Kontrolle auf Vegetationskontakt und mechanische Schäden.
- Wo Zäune nicht möglich sind (z. B. steiles Gelände, großflächige Almweiden, dichte Waldgebiete):
- Mobile Nachtpferche mit elektrischer Umzäunung als temporäre Lösung.
- Intensiver Einsatz von Herdenschutzhunden und/oder Herdeneseln.
- Ständige Beaufsichtigung durch Hirt:innen mit Schutzausrüstung (Signalpistolen, Lärm- und Lichtsignale).
- Nutzung von GPS-Halsbändern zur schnellen Lokalisierung und Kontrolle der Herden.
Ein wirksamer Bärenschutz kombiniert angepasste Technik, tiergestützte Bewachung und betriebliche Organisation. Informationsangebote wie LIFEstockProtect oder nationale Kompetenzzentren stellen nicht nur Fachwissen bereit, sondern unterstützen auch bei der praktischen Umsetzung und Finanzierung. Entscheidend ist, die Maßnahmen konsequent, flächendeckend und standortangepasst einzusetzen, um Schäden zu minimieren und den Schutzstatus des Braunbären zu sichern.