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EU-Kommission stoppt Schwedens Wolfsplan – Warum 170 Tiere nicht reichen

  • 4 Min. Lesezeit
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Die Europäische Kommission hat den frisch eingereichten schwedischen Art-17-Bericht zum Wolf zurückgewiesen – und damit eine seit Jahren kursierende Annahme widerlegt: dass Brüssel beim schwedischen Wolfsmanagement wegschaut oder das alte Vertragsverletzungsverfahren praktisch ruhe. Das Gegenteil ist der Fall.

Als die schwedische Regierung in ihrem frisch übermittelten Bericht nach Artikel 17 der FFH-Richtlinie eine neue „favourable reference population“ (FRP) von nur 170 Wölfen auswies, kam die Antwort aus Brüssel ungewöhnlich deutlich. Die Europäische Kommission lehnt den Bericht in zentralen Punkten ab und fordert Schweden auf, ihn zu überarbeiten. In dem Schreiben, das der Redaktion vorliegt, kritisiert Generaldirektor Eric Mamer die Herabsetzung als politisch motiviert, wissenschaftlich nicht tragfähig und nicht richtlinienkonform.

Die Kommission stellt klar, dass die Festlegung eines FRP-Wertes als reine Mindestüberlebensgröße gegen die Logik der FFH-Richtlinie verstößt. Schweden habe – so die Kritik – einen Wert eingesetzt, der nicht aus dem wissenschaftlichen Bewertungsverfahren hervorgegangen sei, sondern vorab politisch kommuniziert wurde. Zudem liefere die schwedische Umweltbehörde selbst die gegenteilige Grundlage: In ihrem jüngsten Bericht sei der MVP (minimum viable population) mit rund 170 Individuen angegeben, aber ausdrücklich festgehalten worden, dass die FRP „größer als 170“ sein müsse. Die Kommission betont, dass ein FRP niemals identisch mit dem MVP sein dürfe, da der günstige Erhaltungszustand weit über dem minimalen Überleben liegt.  

Die Brüsseler Beanstandung hat Gewicht. Denn in Schweden ist der angekündigte Plan, die Population „auf etwa 170 Tiere zu reduzieren“, politisch bereits weit gediehen. Die Kommission warnt jedoch, dass ein solcher Ansatz nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Besonders kritisch bewertet sie, dass weite Teile des natürlichen Verbreitungsgebiets aus der Referenzreichweite herausgerechnet wurden – ein weiterer Verstoß gegen die fachlichen Vorgaben.

Genetische Schwäche der skandinavischen Wolfspopulation – ein ignoriertes Risiko

Dass die Kommission eine derart scharfe Linie verfolgt, hat einen Grund: Die skandinavische Wolfspopulation gilt seit Jahren als genetisch hochgradig belastet. Studien zeigen, dass sie auf wenige Gründer zurückgeht, über fünf Generationen 10–25 % der genetischen Variation verloren hat und bis zu 100 000 potenziell schädliche Mutationen pro Individuum trägt. Ohne kontinuierliche Zuwanderung führt dies unweigerlich zu Inzuchtdepression – ein Risiko, das bei der Festlegung einer FRP eigentlich berücksichtigt werden müsste.

Der politisch angesetzte Wert von 170 Tieren blendet diese wissenschaftlich bekannte Verwundbarkeit vollständig aus. Selbst die schwedischen Fachbehörden hatten seit Jahren FRP-Werte von 300–400 Tieren berechnet – aus gutem Grund.

Exzessive Jagd in Finnland und Norwegen verschärft die Lage

Parallel zur schwedischen Diskussion zeigen Finnland und Norwegen, wie staatliche Jagdpolitik die genetische Erholung der Population zusätzlich erschwert. In Finnland gelten Jagdquoten seit langem als „exzessiv“ – mehrere Studien belegen, dass legale und illegale Entnahmen zusammengenommen die Bestandserholung massiv beeinträchtigen. Auch Norwegen verfolgt eine Politik extrem niedriger Zielzahlen („Bestandsobergrenze“) und genehmigt regelmäßig Abschussquoten, die einem großen Teil der nationalen Population entsprechen.

Damit fehlen der skandinavischen Population jene Tiere, die durch natürliche Wanderung genetische Vielfalt eintragen könnten – ein weiterer Aspekt, den die Kommission in ihrer Kritik indirekt berührt, wenn sie den grenzüberschreitenden Kontext als zwingenden Bestandteil des Art-17-Assessments einfordert.  

Ein europäisches Muster? – Der Blick nach Deutschland

Die Diskussion erinnert an den deutschen Fall, in dem ebenfalls ohne ausreichende wissenschaftliche Grundlage zentrale Bewertungsparameter der FFH-Berichterstattung verändert wurden. Kritiker bemängelten, dass die zuständigen Stellen den günstigen Erhaltungszustand für den Wolf durch Umschichtung der Variablen – etwa durch Verschiebung von Referenzgrößen oder die Betonung rein administrativer Kriterien – zu begründen versuchten.

Die Parallele zur schwedischen Situation liegt auf der Hand: Politisch definierte Zielzahlen ersetzen wissenschaftliche Mindestanforderungen. Die Kommission macht im aktuellen Fall jedoch unmissverständlich klar, dass eine solche Vorgehensweise nicht akzeptiert wird.

Fazit: Der Konflikt um die Zahl 170 ist mehr als eine Statistik

Das Schreiben der EU-Kommission markiert einen Wendepunkt in der europäischen Wolfspolitik. Es ist ein deutliches Signal, dass wissenschaftliche Mindeststandards nicht verhandelbar sind – auch wenn nationaler politischer Druck hoch ist.

Mit dem deutlichen Widerspruch aus Brüssel wird nun erstmals ein Mitgliedstaat gezwungen, die politisch motivierte Absenkung eines FRP zurückzunehmen. Für Deutschland, Österreich und andere EU-Länder dürfte dieser Vorgang ein deutliches Warnsignal sein: Manipulationen an Bewertungsgrundlagen bleiben nicht folgenlos.

Quellen

  • European Commission. (2025). Letter concerning Sweden’s Article 17 report on Canis lupus (ENV.D.3/KDR). Bruxelles.  
  • Smeds, L., Kojola, I., & Ellegren, H. (2022). Genomic effects of inbreeding on Scandinavian wolves. Uppsala University.
  • Villemala, K. (2013). Past and present genetic diversity and structure of the Finnish wolf (Canis lupus) population. University of Oulu.
  • NMBU – Norwegian University of Life Sciences. (2022). Latest wolf population estimates confirm steady decline.
  • WWF Norge. (2021). Save Our Wolves – Legal actions against excessive culling in Norway.

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