St. Valentin/Dubai, 20. Oktober 2025 – Der IUCN World Conservation Congress (9.–15. Oktober 2025, Abu Dhabi) ist die weltweit größte und bedeutendste Fachversammlung für Naturschutzpolitik. Hier werden internationale Standards und Empfehlungen beschlossen, die Regierungen und Institutionen Orientierung geben. Im Rahmen dieser Versammlung wurde die Motion 142 „Upholding Science-Based Wildlife Conservation in Switzerland“ behandelt. Die Kernaussage: Wolfsmanagement muss wissenschaftsbasiert erfolgen, mit Monitoring und Herdenschutz als Grundlage und mit Ausnahmen nur als ultima ratio unter klar belegten Voraussetzungen.
Rechtlicher Rahmen: EU-Urteile und nationale Pflichten
Die rechtliche Linie ist klar und unmissverständlich: Der EuGH hat im Tirol-Urteil vom 11. Juli 2024 (C-601/22) bestätigt, dass Jagdverbote gelten und Ausnahmen nur bei günstigem Erhaltungszustand (EHZ) erlaubt sind. Im Estland-Urteil vom 12. Juni 2025 (C-629/23) wurde zusätzlich präzisiert, dass der EHZ nach kumulativen Kriterien festgestellt werden muss – nationale Verantwortung kann dabei nicht ausgelagert oder umgangen werden.
Das Rechtsgutachten von Landesverwaltungsrichter Wolfgang Wessely (2025) verdeutlicht ergänzend, dass Tierschutzpflichten auch auf Almen gelten und „nicht schützbar“ keine pauschale Begründung darstellt. Wenn Schutzmaßnahmen unterbleiben, müssen Behörden einschreiten – sowohl aus Tierschutz- als auch aus verwaltungsrechtlicher
Fachliche Grundlage vorhanden
Österreich verfügt über eine solide Wissensbasis: Der Endbericht LeKoWolf – Lebensraumpotenzial und Konfliktpotenzial für den Wolf in Österreich“ der BOKU von Dr. Hatlauf und Prof Hackländer identifiziert geeignete Wolfslebensräume und Konflikt-Hotspots. Sie legt nahe, wo Monitoring und Prävention prioritär umgesetzt werden sollten. Die Monitoringstandards des Österreichzentrums Bär, Wolf, Luchs ermöglichen eine einheitliche, belastbare Datengrundlage. Damit sind die Instrumente für ein strategisches und rechtssicheres Wolfsmanagement vorhanden.
Debatte um „bewaffnete Hirten“ – ein Irrweg
In der Tiroler Tageszeitung wurde zuletzt ein Vorstoß aus der Politik diskutiert, Hirten künftig zu bewaffnen. Eine solche Forderung trägt nicht zu einer Lösung bei, sondern birgt erhebliche Risiken.
- Praktisch sind Hirten tagsüber (und auch dann nur zum Teil) bei den Tieren; Schusswaffeneinsätze in touristisch frequentierten Regionen wie Nauders oder in den Kranichen Alpen würden ein erhebliches Sicherheits- und Haftungsrisiko für Personal und Wandernde bedeuten.
- Rechtlich sind Abschüsse von streng geschützten Arten nur als ultima ratio zulässig – zumutbare Alternativen wie Herdenschutz, organisatorische Maßnahmen oder Auf-/Abtrieb müssen vorher nachweislich ausgeschöpft werden. Genau das fordern IUCN, EuGH und das Wessely-Gutachten übereinstimmend.
Blick nach Brüssel
Es gilt als wahrscheinlich, dass Österreich gegenüber der Europäischen Kommission einen ungünstigen Erhaltungszustand melden muss – nicht zuletzt, weil es bislang kein flächendeckendes Monitoring gibt und die Population rechtlich nicht anders eingeschätzt werden kann. Damit wird der Spielraum für präventive Abschüsse enger und die Notwendigkeit einer strukturellen Herdenschutzstrategie noch deutlicher, denn auch wenn der Wolf jemals in Österreich in den Anhang 5 verschoben wird (auf EU Ebene ist das schon lange passiert nur in Österreich nicht), ist der günstige Erhaltungszustand das Maß aller Dinge.
Koexistenz braucht Struktur – und klare Entscheidungen
Ein modernes Wolfsmanagement ist kein Widerspruch zur Weidewirtschaft, sondern deren notwendige Ergänzung. Um die Almwirtschaft und die Heimweidehaltung langfristig zu sichern, braucht es verlässliche Rahmenbedingungen:
- Finanzierung und Umsetzung wirksamer Herdenschutzmaßnahmen
- Beratung, Schulung und Unterstützung der Betriebe
- einheitliche Monitoringstandards
- klare, mit dem EuGH abgestimmte rechtssichere Entscheidungswege bei Ausnahmen
Extensive Landwirtschaft darf keine leere Formel sein, sondern braucht echte Unterstützung – auch finanziell und unabhängig von politischen Tagesdebatten. Das schützt Nutztiere, stärkt Betriebe und erhöht die Rechtssicherheit für alle Beteiligten.
Die Frage ist daher nicht mehr, ob dieser Weg beschritten wird, sondern wer den Schritt politisch ermöglicht. Bauernvertretung, Politik und Koalitionspartner sind nun gefordert, eine konstruktive und zukunftsfähige Entscheidung zu treffen – zugunsten der Almwirtschaft, des Tierschutzes und eines verlässlichen Rechtsrahmens.
