In Kärnten zeigt sich, wie brüchig der europäische Artenschutz wird, wenn politische Entscheidungen EU‑Recht, wissenschaftliche Grundlagen und tierschutzrechtliche Mindeststandards ignorieren. Seit 1. November 2025 werden hier Fischotter bejagt – obwohl der Fischotter (Lutra lutra) nach der Habitatrichtlinie eine streng geschützte Art des Anhangs IV ist. Für diese Arten schreibt Art. 12 FFH‑Richtlinie ein strenges Schutzsystem vor: Absichtlicher Fang oder Tötung, erhebliche Störung sowie die Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten sind EU‑weit verboten.
Was die Kärntner Verordnung konkret erlaubt
Die im Dezember 2024 erlassene „Fischotter‑Verordnung“ der Kärntner Landesregierung erlaubt:
- von 1. November bis Ende Februar die Entnahme von Fischottern in allen Entwicklungsstadien mit Langwaffen und Conibear‑Totfangfallen unter Wasser,
- von 1. März bis 31. Oktober den Fang mit Lebendfallen.
Als fachliche Grundlage dient im Wesentlichen die sogenannte Friedl‑Studie (2021), eine Untersuchung an einem einzigen Forellenbach (Rababach) im Klagenfurter Becken. Diese ist weder flächendeckend noch populationsbiologisch repräsentativ, sondern beschreibt lediglich lokale Beobachtungen. Die Regierungsvorlage räumt selbst ein, dass die geltend gemachten Schäden überwiegend auf „gemeldete Einzelfälle“ zurückgehen – also auf nicht überprüfte Einzelmeldungen, nicht auf systematische Datenerhebung.
Ein flächendeckendes Monitoring, das den Vorgaben der FFH‑Richtlinie (Art. 11 und 17) entspricht, existiert nicht. Zwar läuft seit 2023 ein neues Verbreitungs‑ und Bestandsmonitoring, aber es ist räumlich lückenhaft und erfasst vor allem nicht die Auswirkungen der Entnahmen auf Reproduktion, Mortalität, Altersstruktur und langfristige Bestandsentwicklung. Ohne solche Daten ist eine seriöse Bewertung des Erhaltungszustands – und damit jede Ausnahme nach Art. 16 – rechtlich nicht haltbar.
Was sagt die FFH Richtlinie bzgl Streng geschützter Arten
Eine Bejagung ist daher nur in Form eng begrenzter Ausnahmen nach Art. 16 FFH‑Richtlinie möglich. Diese sind kumulativ an drei Bedingungen gebunden:
- Es liegt ein gesetzlich zulässiger Grund vor (z. B. Verhütung ernster Schäden oder zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses),
- es gibt keine anderweitige zufriedenstellende Lösung (z. B. Zäune, technische Sicherungen, Managementmaßnahmen),
- die Population der Art verbleibt trotz der Ausnahme in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in einem günstigen Erhaltungszustand.
Was ein „günstiger Erhaltungszustand“ ist, definiert die Richtlinie und der EuGH ebenfalls: Entscheidend sind Populationsdynamik, Verbreitungsgebiet und ausreichend Lebensraum. Eine Art ist erst dann „günstig“, wenn sie langfristig ein stabiler, lebensfähiger Bestandteil ihrer natürlichen Lebensräume ist, ihr Verbreitungsgebiet nicht schrumpft und genügend geeigneter Lebensraum vorhanden bleibt.
Die drei EuGH‑Urteile: Maßstab auch für den Fischotter
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Vorgaben in drei Grundsatzurteilen zu Großraubtieren präzisiert – und diese Rechtsprechung gilt für alle streng geschützten Anhang‑IV‑Arten, also auch für den Fischotter:
- Im Urteil „Tapiola“ (C‑674/17, 2019) stellte der EuGH klar: Befindet sich eine Population in einem ungünstigenErhaltungszustand, darf sie nicht weiter reduziert werden. Selbst bei günstigem Zustand sind Entnahmen nur zulässig, wenn sie so begrenzt sind, dass kein Risiko eines negativen Bestandstrends besteht – im Sinne des Vorsorgegrundsatzes.
- Im Urteil „Tirol/Wolf“ (C‑601/22, 2024) legte der Gerichtshof fest, dass der Erhaltungszustand zuerst auf lokaler Ebene und auf Ebene des Mitgliedstaats geprüft werden muss. Erst danach darf ergänzend auf die biogeografische oder grenzüberschreitende Population abgestellt werden. Ein schlechtes nationales Ergebnis darf also nicht hinter einem „günstigen“ Gesamtbild der Großregion versteckt werden.
- Im Urteil „Estland/Wolf“ (C‑629/23, 2025) betont der EuGH, dass jeder Mitgliedstaat für den günstigen Erhaltungszustand der Art im eigenen Hoheitsgebiet verantwortlich bleibt – selbst wenn die Art in Nachbarstaaten zahlreich vorkommt.
Aktuelle juristische Analysen und Gutachten – etwa von Jochen Schumacher sowie die Diplomarbeit von Nigitz (JKU Linz) – fassen diese Linie so zusammen:
Ohne vorherige Feststellung eines günstigen Erhaltungszustands auf lokaler und nationaler Ebene als auch auf biografischer Ebene sind Entnahmen unionsrechtswidrig; eine bloß biogeografische Gesamtbetrachtung reicht nicht aus.
„Ernste Schäden“ – wirtschaftliche Gründe sind streng begrenzt
Oft wird behauptet, der Fischotter richte „massive wirtschaftliche Schäden“ an. Nach Art. 16 Abs. 1 lit. b FFH‑Richtlinie dürfen Ausnahmen zur Verhütung ernster Schäden gewährt werden – aber nur unter strengen Bedingungen. Der EuGH verlangt:
- Schäden müssen konkret, nachweisbar und der Art zurechenbar sein,
- rein hypothetische oder bloß makroökonomische Szenarien genügen nicht,
- es reicht zwar eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, diese muss aber wissenschaftlich belegtwerden.
Die Feststellung, ob „ernste wirtschaftliche Schäden“ vorliegen, erfordert eine umfassende und nachvollziehbare Analyse der Daten des betroffenen Sektors als Ganzes (beispielsweise der kommerziellen Teichwirtschaft in Österreich). Diese Analyse darf sich nicht allein auf unbestätigte Schadensmeldungen und erst recht nicht auf angebliche Schäden in Fliessgewässer stützen. Schäden an Fischen in Fließgewässern sind nämlich nicht als relevant anzusehen, da diese Fische natürliche Nahrungsquellen für den Fischotter darstellen und nicht dem Menschen gehören.
Wie Kärnten diese Vorgaben ignoriert
Vor diesem Hintergrund ist die Kärntner „Fischotter‑Verordnung“ ein Musterfall für die Missachtung von EU‑Recht:
- Es gibt kein flächendeckendes, populationsbiologisch aussagekräftiges Monitoring des Fischotters, das die Anforderungen von Art. 11 FFH‑Richtlinie erfüllt. Damit fehlt bereits die Grundlage, um den Erhaltungszustand auf Landes‑, Bundes‑ und biogeografischer Ebene beurteilen zu können.
- Der Fischotter ist weiterhin eine streng geschützte Anhang‑IV‑Art, deren absichtliche Tötung grundsätzlich verboten ist. Eine „Jagd“ im üblichen Sinn ist mit der Habitatrichtlinie unvereinbar.
- Weder für Kärnten noch für Österreich insgesamt liegt eine belastbare Feststellung eines günstigen Erhaltungszustands vor. Schon deshalb können Ausnahmen nach Art. 16 rechtlich nicht sauber begründet werden.
- Die Verordnung erlaubt zudem den Einsatz nicht‑selektiver Conibear‑Totfangfallen, also einer Fangmethode, die nach internationalen Artenschutzabkommen und der Systematik der FFH‑Richtlinie für streng geschützte Arten als unzulässig gilt.
Die Kärntner Landesregierung ignoriert damit offen die klare Linie des EuGH und der aktuellen Fachliteratur. Das ist nicht bloß ein „politischer Kurs“, sondern ein handfester Verstoß gegen unionsrechtliche Mindeststandards, der Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren eintragen kann.
Was jede*r tun kann: Beschwerde bei der Europäischen Kommission
Entscheidend: Nicht nur Staaten, auch Einzelpersonen und NGOs können bei der Europäischen Kommission Beschwerde einreichen, wenn sie systematische Verstöße gegen EU‑Naturschutzrecht dokumentieren. Nützlich sind zum Beispiel:
- Fotos (mit Datum und Ort) von Conibear‑Fallen oder anderen Fallen im Einsatz,
- Kopien von Abschuss‑ oder Fangbescheiden,
- dokumentierte Fälle gefangener oder getöteter Fischotter,
- behördliche Schreiben, die sich auf die Kärntner Verordnung stützen.
Auf Basis solcher Hinweise kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einleiten – ein wichtiges Korrektiv, wenn regionale Politik EU‑Recht ignoriert.
Warum die Kärntner Praxis ein Artenschutzproblem – und kein Fischereischutz – ist
Politisch wird der Konflikt gern als Gegensatz zwischen Natur‑ und Fischereischutz dargestellt. Doch statt in wirksame präventive Schutzmaßnahmen zu investieren, setzt Kärnten auf Tötung.
Der Fischotter‑Experte Dr. Andreas Kranz zeigt seit Jahren, dass das Töten von Fischottern zu keiner messbaren Erholung von Fischbeständen in Fließgewässern führt. Praxisbeispiele aus anderen Bundesländern und ein Rechtsgutachten von Dr. Wolfgang Wessely machen deutlich, dass zuerst nicht‑letale Maßnahmen ausgeschöpft werden müssten:
- Elektrozäune und funktionsfähige Teichzäunungen,
- strukturreicher Habitatschutz (z. B. Beschattung, Unterstände),
- betriebliche Anpassungen (z. B. Nutzung weniger sensibler Becken, nächtliche Sicherung).
Viele Betriebe wenden solche Maßnahmen bereits erfolgreich an – selbst kleine Teiche können mit einem einfachen Weidezaungerät effektiv geschützt werden.
Conibearfallen – ein tierschutzrechtliches Desaster
Internationale Artenschutzabkommen wie die Berner Konvention verbieten grausame, nicht selektive Fangmethoden – und genau dazu zählen Conibear‑Fallen. Sie sollen Tiere mit einem Schlag im Kopf‑Hals‑Brustbereich „sofort töten“. In der Praxis zeigen Dokumentationen und Gutachten jedoch, dass es häufig zu Fehl‑ und Teilfängen kommt: Tiere werden an Gliedmaßen, Rumpf oder Schnauze eingeklemmt und erleiden lange Todeskämpfe. Besonders problematisch: Es gibt keinen Mutterschutz.
Fischotter haben keine feste Paarungszeit und können von Februar bis November Nachwuchs bekommen. Die Jungen sind mindestens ein Jahr, oft länger, auf die Mutter angewiesen. Wird ein Weibchen gefangen oder getötet, verhungern die Jungtiere im Bau – genau das, was Art. 12 FFH‑Richtlinie mit dem besonderen Schutz fortpflanzender Tiere und ihrer Ruhestätten verhindern soll.
Auch das österreichische Tierschutzgesetz ist eindeutig:
- § 5 verbietet es, Tieren ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen,
- § 16 untersagt es, die Bewegungsfreiheit von Tieren ohne vernünftigen Grund unzulässig einzuschränken.
Der Einsatz nicht selektiver Totfangfallen an streng geschützten Arten ist mit diesen Grundsätzen nicht vereinbar.
Petition: Ein Zeichen für echten Naturschutz
Fischotter sind kein Störfaktor, sondern Bioindikatoren für gesunde Gewässer. Dort, wo sie leben, funktionieren Nahrungsketten, Uferzonen und aquatische Lebensräume. Die größten Gefahren für Fischbestände gehen nicht vom Fischotter aus, sondern von:
- zerstörten oder verbauten Gewässern,
- Gewässerverschmutzung,
- Klimakrise (Erwärmung, Niedrigwasser),
- intensiver Gewässer‑ und Fischereiwirtschaft.
Tierschutz Austria hat eine Petition gestartet, die sich klar gegen die rechtlich fragwürdige Kärntner Verordnung und den Einsatz tierschutzwidriger Fallen richtet – und indirekt für die Einhaltung des EU‑Naturschutzrechts eintritt. Jede Unterschrift signalisiert: Dieser Weg wird von der Bevölkerung in Österreich und Europa nicht akzeptiert.
👉 Zur Petition:
https://www.tierschutz-austria.at/unterstuetze-uns/petitionen/petitionfischotter/
