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EU-Kommissar will Renaturierungsgesetz neu aufschnüren

  • 5 Min. Lesezeit
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Valdis Dombrovskis sorgt in Brüssel für Streit: Der lettische EU-Kommissar versucht, das frisch beschlossene Gesetz zur Wiederherstellung der Natur im Rahmen eines „Omnibus“-Pakets erneut zu öffnen. Umweltorganisationen und große Unternehmen – darunter Ikea und Unilever – warnen, eine Änderung würde nicht nur den Green Deal schwächen, sondern auch die dringend benötigte Planungssicherheit untergraben.

Brüssel – Noch ist die Tinte unter dem europäischen Gesetz zur Wiederherstellung der Natur kaum trocken, doch in Brüssel formiert sich bereits der nächste Konflikt. Das Nature Restoration Law verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten dazu, geschädigte Ökosysteme schrittweise wieder in einen funktionsfähigen Zustand zu bringen. Bis 2030 sollen mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen durch Renaturierungsmaßnahmen verbessert werden, bis 2050 möglichst alle Flächen, die sich in schlechtem Zustand befinden.

Die Verordnung gilt als Herzstück Ursula von der Leyens´ Green Deals. Sie soll nicht nur dem dramatischen Verlust an Artenvielfalt entgegenwirken, sondern auch die Widerstandsfähigkeit der europäischen Landschaften gegenüber Dürren, Hochwasser und Extremwetterereignissen stärken. Nach langem Ringen wurde das Gesetz im vergangenen Jahr knapp angenommen – ein politischer Kraftakt, der die tiefen Gräben zwischen Umwelt- und Wirtschaftsinteressen sichtbar machte.

Streit in der Kommission

In der Kommission prallen nun zwei politische Linien aufeinander. Dombrovskis argumentiert, die wirtschaftlichen Belastungen seien zu groß, die Bürokratie zu umfassend. Andere Kommissarinnen und Kommissare – darunter Ursula von der Leyen – warnen vor einem gefährlichen Präzedenzfall. Ein Gesetz kurz nach seiner Verabschiedung wieder aufzuschnüren, wäre ein Signal der Schwäche: Die EU könnte den Eindruck erwecken, dass ihre Umweltziele verhandelbar sind, sobald der Druck steigt.

Die politische Dimension ist nicht zu übersehen. Die Natur könne nicht warten, argumentieren Umweltpolitiker. Verzögerungen heute hätten sichtbare Folgen in den kommenden Jahrzehnten – vom Verlust an Bestäubern bis zur steigenden Anfälligkeit für Naturkatastrophen. Die Gegner eines Aufweichens warnen: Wenn zentrale Pfeiler des Green Deal fallen, fiele am Ende dessen Glaubwürdigkeit.

Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur – und was es wirklich verlangt

Zentral für die aktuelle Debatte ist ein Missverständnis, das von politischen Gegnern des Gesetzes immer wieder kolportiert wird: Das Nature Restoration Law verlangt keine Stilllegung landwirtschaftlicher Flächen. Weder müssen Betriebe ihre Nutzung aufgeben, noch schreibt die Verordnung vor, dass bestimmte Flächen aus der Produktion herausgenommen werden.

Stattdessen nennt das Gesetz eine breite Palette an Renaturierungsmaßnahmen, von denen viele längst gängige Praxis sind – insbesondere in Ländern mit hohem Bio-Anteil. Laut Verordnung können etwa folgende Maßnahmen vollständig angerechnet werden:

  • Pflege und Erweiterung von Landschaftselementen wie Hecken, Baumgruppen oder Altgrasstreifen,
  • biologische Bewirtschaftung, die Artenvielfalt und Bodenfruchtbarkeit fördert,
  • extensive Grünlandnutzung, Mahdregime mit hoher Strukturvielfalt,
  • Blühflächen, Brachen und andere Lebensräume für Feldvögel und Bestäuber,
  • Verbesserung der Wasserhaushalte in Feuchtgebieten,
  • Paludikultur – also die nasse, aber produktive Bewirtschaftung von Moorflächen.

Viele dieser Maßnahmen sind bereits integraler Bestandteil der österreichischen Bio-Landwirtschaft. Mit einem Bio-Anteil von rund einem Viertel der Flächen verfügt Österreich über besonders günstige Ausgangsbedingungen die Ziele der Renaturierungsverordnung zu erreichen. Viele der praktischen Renaturierungsschritte sind längst Realität, sodass Österreich – anders als in manchen politischen Aussagen suggeriert – nicht vor einer Stilllegepflicht, sondern eher vor einer Bestätigung bereits existierender Praktiken steht.

Das Gesetz zielt darauf ab, ökologische Funktionen wiederherzustellen, nicht wirtschaftliche Nutzung zu verbieten. Renaturierung heißt in diesem Zusammenhang: Lebensräume stabilisieren, Wasser speichern, Bestäuber schützen, Böden verbessern. Das kann – und soll – in vielen Fällen parallel zur Nutzung geschehen.

Omnibus-Gesetz und „Stop-the-Clock“

Doch genau dieses Gesetz will Valdis Dombrovskis nun in ein sogenanntes Omnibus-Gesetz einbringen. Hinter diesem technokratisch klingenden Begriff verbirgt sich ein Sammelgesetz, das verschiedene Vorschriften in einem einzigen politischen Vorgang ändert. Offiziell geht es dabei um Bürokratieabbau – also die Vereinfachung von Berichtspflichten, die Bündelung von Dokumentationen oder die Verlängerung von Fristen.

Brisant wird es, weil in einem Omnibus-Paket selbst politisch heikle Themen mitverhandelt werden können. Dombrovskis schlägt sogenannte „Stop-the-Clock“-Maßnahmen vor: Fristen sollen pausiert, einzelne Verpflichtungen zeitlich ausgesetzt werden. Technisch klingt das harmlos. Politisch bedeutet es jedoch die Möglichkeit, Teile des Gesetzes durch die Hintertür zu entschärfen.

Ungewöhnliche Unterstützung von mehr Umweltschutz angeführt von Ikea, Unilever und Nestlé

Dass Umweltorganisationen vor einer Wiederöffnung der Verordnung warnen, überrascht nicht. Bemerkenswert ist jedoch die Haltung großer internationaler Unternehmen – darunter Ikea, Unilever und Nestlé –, die sich gemeinsam mit über 80 Unternehmen und Finanzinstitutionen im Rahmen einer von Business for Nature koordinierten Erklärung ausdrücklich für starke und verlässliche EU-Umweltstandards ausgesprochen haben. In dieser Stellungnahme betonten sie, dass klare Regeln und langfristige Stabilität für Investitionen in nachhaltige Geschäftsmodelle unerlässlich sind. Eine Verwässerung oder das ständige Infragestellen mühsam vereinbarter Vorgaben würde aus Sicht dieser Unternehmen jene benachteiligen, die bereits Verantwortung übernommen und in nachhaltige Lieferketten investiert haben, und jene belohnen, die Verzögerungen zu ihrem Vorteil nutzen. Die Botschaft der Wirtschaft ist eindeutig: Nur ein verlässlicher regulatorischer Rahmen ermöglicht echten ökologischen und wirtschaftlichen Fortschritt.

Warum das für die Bürgerinnen und Bürger wichtig ist

Die Wiederherstellung von Naturflächen ist kein Selbstzweck. Sie entscheidet darüber, ob Europa künftig besser gegen Hochwasser gewappnet ist, ob Böden fruchtbar bleiben, ob Lebensmittelproduktion stabil bleibt und ob Artensterben gebremst wird.

Es geht also nicht nur um Ökologie, sondern um wirtschaftliche Stabilität, Ernährungssicherheit und Lebensqualität. Gerade Länder, die wie Österreich bereits früh auf Bio-Landwirtschaft und strukturreiche Kulturlandschaften gesetzt haben, stehen nicht vor einem Umbruch, sondern können von dem Gesetz profitieren.

EU Renaturierungsgesetz gültige Fassung

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