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INTERVIEW zur Änderung des deutschen BJagdG & BNatSchG – Rechtssicheres Wolfsmanagement?

  • 14 Min. Lesezeit
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Das Interview vom 24. November 2025 beleuchtet die zentralen juristischen Fragen rund um den Referentenentwurf zur Änderung des deutschen Bundesjagdgesetzes und des Bundesnaturschutzgesetzes. Es stellt die Einschätzungen des Juristen Dr. Jochen Schumacher im Kontext der aktuellen europarechtlichen Entwicklungen dar.

Andrea Hagn (Redaktion):

Herr Schumacher, vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit nehmen, um mit uns über den neuen Referentenentwurf zur Änderung des deutschen Bundesjagdgesetzes (BJagdG-E) und des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG-E) zu sprechen. Der Wolf wurde kürzlich auf EU-Ebene in Anhang V der Europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie eingestuft. Die deutsche Bundesregierung schlägt nunmehr gleichzeitig vor, den Wolf jagdrechtlich nutzbar zu machen und ihn dafür im Bundesjagdgesetz zu verorten. Das sorgt für viele Diskussionen, auch hier in Österreich wo ähnliche Ideen kursieren. Vielleicht stellen Sie sich erstmal kurz vor? Für unsere Leser zeigen wir den Entwurf am Ende des Interviews.

Jochen Schumacher:

Sehr gerne. Ich bin Jurist mit Schwerpunkt im europäischen Naturschutzrecht und beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Auslegung der FFH-Richtlinie, insbesondere mit den Artikeln 6, 11, 12-14 und 16, sowie mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in diesen Bereichen. Darüber hinaus leite ich das Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht in Tübingen, in dem wir ökologische und juristische Fragen gemeinsam betrachten. Ich berate Behörden, Verbände und Forschungseinrichtungen in Fragen des Habitat- und Artenschutzrechts und der korrekten Anwendung europäischer Vorgaben.

Andrea Hagn:

Im Referentenentwurf wird vorgeschlagen, den Wolf künftig jagdrechtlich nutzbar zu machen. Zugleich wurde er auf EU-Ebene in Anhang V der FFH-RL eingestuft. Bedeutet das, dass künftig Entnahmen möglich wären, ohne dass zuvor der günstige Erhaltungszustand festgestellt wurde?

Jochen Schumacher:

Der Entwurf sieht in § 22c Abs. 3 BJagdG-E eine Jagd auf den Wolf auch bei einem ungünstigen Erhaltungszustand und ohne Schonzeit vor. Die Jagd muss erforderlich sein, etwa zur Abwendung landwirtschaftlicher Schäden oder im Interesse der Gesundheit des Menschen oder der öffentlichen Sicherheit. § 22c Abs. 4 BJagdG-E sieht auch in Weidegebieten die Möglichkeit eines Abschusses bei ungünstigem Erhaltungszustand vor. Dies soll die Entnahme von sog. „Problemwölfen“ auch bei Vorliegen eines ungünstigen Erhaltungszustands ermöglichen.

Rechtlich gibt es hierzu Bedenken. Der günstige Erhaltungszustand ist das zentrale Fundament jeder Nutzung/Entnahme einer Art – und das gilt auch für eine Anhang V-Art wie den Wolf. Die FFH-Richtlinie macht hier keinerlei Zugeständnisse. 

Die FFH-Richtlinie regelt 

  • in Art. 14, dass eine Nutzung von Anhang V-Arten nur dann zulässig ist, wenn der Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der günstige Erhaltungszustand bereits besteht und durch die Nutzung nicht gefährdet wird; 
  • in Art. 16, dass eine Ausnahme von den Verboten des Art. 12 oder 14 FFH-RL eng auszulegen ist. Voraussetzung für eine Ausnahme ist das Vorliegen eines günstigen Erhaltungszustands der betroffenen Population einer Art.

Die europäische Rechtsprechung hat diese Anforderungen in den vergangenen Jahren immer weiter präzisiert. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 10.10.2019 – C‑674/17, („Tapiola“-Urteil, Rn. 66 ff.) sehr ausführlich erläutert, dass eine Population, die sich in einem ungünstigen Erhaltungszustand befindet, überhaupt nicht reduziert werden darf. Und selbst wenn ein günstiger Zustand gegeben ist, müssen Entnahmen nachweislich so gering und vorsichtig sein, dass keinerlei Risiko eines negativen Trends entsteht. Anders ausgedrückt: Eine Nutzung darf eine Population nicht nur „nicht verschlechtern“, sie muss aktiv so ausgestaltet sein, dass der bestehende günstige Zustand stabil bleibt. Dies folgt auch aus dem in Art. 191 Abs. 2 AEUV verankerten Vorsorgegrundsatz.

Im EuGH, Urteil vom 11.07.2024 – C-601/22 (Tirol), Rn. 66 wurde dieser Gedanke noch weiter geführt. In dem Urteil ging es um die Frage, wie der günstige Erhaltungszustand überhaupt zu prüfen ist. Der EuGH hat dazu ausgeführt, dass die gewährten Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen müssen, nur dann unter Berücksichtigung der Ebene der biogeografischen Region, die über die nationalen Grenzen hinausgeht, anhand der verfügbaren Daten beurteilt werden darf, wenn vorab festgestellt worden ist, dass diese Populationen trotz dieser Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung auf der Ebene des lokalen Gebiets und des nationalen Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen.

Und schließlich hat der EuGH im Verfahren „Estland/Wolf“ (EuGH, Urt. v. 12.06.2025) noch einmal bekräftigt, dass jeder Mitgliedstaat eigenständig für die Erhaltung der Art verantwortlich ist. Selbst wenn die Population in einem Nachbarstaat stark ist, entbindet das den eigenen Staat nicht von der Pflicht, in seinem Hoheitsgebiet einen günstigen Zustand sicherzustellen.

Diese drei Entscheidungen zusammen ergeben ein sehr restriktives Bild: Entnahmen ohne vorherige Feststellung eines günstigen Erhaltungszustands wären ein klarer Verstoß gegen das Unionsrecht. Eine absolute Ausnahme hierzu findet sich im sog. Urteil Finnischer Wolf vom 14.06.2007 – C-342/05, Rn. 29.

Andrea Hagn:

Der Entwurf schlägt vor, sogenannte „Problemwölfe“ leichter zu entnehmen. Wie ist das im Lichte der FFH-Richtlinie und der EuGH-Rechtsprechung zu bewerten? 

Jochen Schumacher:

Der Begriff „Problemwolf“ ist politisch motiviert, die FFH-Richtlinie kennt diesen Begriff nicht. Aus Sicht des EU-Rechts gibt es nur zwei Kategorien: die reguläre Nutzung nach Art. 14 und Ausnahmen nach Art. 16. Beide sind stark reglementiert.

Wenn wir über Ausnahmen für einzelne Tiere sprechen, gilt: Eine Entnahme darf nur dann erfolgen, wenn zuvor alle Alternativen versucht wurden – also etwa besserer Herdenschutz, Anpassungen in der Weideführung, Vergrämungsmaßnahmen oder technische Sicherungen. Und selbst dann reicht es nicht aus, einfach zu sagen, dass ein Wolf Schaden angerichtet hat, es muss sich vielmehr um ernste Schäden handeln. Nach Art. 16 Abs. 1 lit. b) dürfen die Mitgliedstaaten von den Schutzbestimmungen des Art. 14 nämlich nur dann abweichen, wenn damit „ernste Schäden“ verhindert werden. Dabei muss nicht erst ein Schaden erfolgen, sondern es reicht eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes aus. Mittelbare künftige Schäden, die nicht auf den Wolf zurückzuführen sind, sind von dieser Bestimmung aber nicht umfasst.

Ich sehe hier ein grundlegendes Missverständnis: Der Entwurf suggeriert, man könne bestimmte Tiere – weil sie „auffällig“ sind – relativ unaufwendig entnehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Die EuGH-Rechtsprechung verpflichtet die Behörden, jede Ausnahme wissenschaftlich umfassend zu begründen, Alternativen darzulegen und den Erhaltungszustand im Blick zu behalten.

Wenn man die Entnahme einzelner Wölfe erleichtern will, muss man zunächst nachweisen, dass deren Entfernung keinerlei Risiko für die Gesamtpopulation darstellt. Dies gilt insbesondere, wenn sich die Population in einem ungünstigen Erhaltungszustand befindet. Der EuGH hat hierzu klare Ausführungen getätigt (Urteil Finnischer Wolf vom 14.6.2007 – C-342/05). Angesichts der stagnierenden Bestandsentwicklung in Deutschland – wie sie den kürzlich veröffentlichten Daten der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) zu entnehmen ist – ist eine gesicherte Aussage zu den Auswirkungen von Wolfsentnahmen auf die Population derzeit nicht möglich.

Andrea Hagn:

Der Referentenentwurf wirbt mit einem „aktiven Bestandsmanagement“ des Wolfs. Wie passt das zur FFH-Richtlinie?

Jochen Schumacher:

Der Begriff „aktives Bestandsmanagement“ klingt gut, hat aber nur dann Substanz, wenn die wissenschaftlichen Grundlagen stimmen. Ein Managementplan muss vor allem eines sein: fundiert. Er muss auf einem verlässlichen Monitoring beruhen, auf klaren Populationszielen, auf Trendanalysen, auf Kenntnissen zur genetischen Stabilität. 

Ein Managementplan darf gemäß Art. 14 FFH-RL nur dann Entnahmen vorsehen, wenn die Population in einem günstigen Erhaltungszustand ist und trotz der Entnahmen weiterhin in einem günstigen Erhaltungszustand verbleibt – und zwar nicht nur lokal (z.B. in einer bestimmten Region oder einem bestimmten Bundesland), sondern auch national. Liegt hier ein günstiger Erhaltungszustand vor, so ist weiter, sofern möglich, auf grenzüberschreitender Ebene zu prüfen, welche Auswirkungen die Bestandsregulierungen nach Art. 14 FFH-RL (EuGH, C-629/23 (Estland) Rn. 48, vgl. auch EuGH, C-601/22 (Tirol) Rn. 58) auf den Erhaltungszustand des Wolfs hat. Dieser „Blick über die Grenze“ ist insbesondere dann erforderlich, wenn der Erhaltungszustand auf grenzüberschreitender Ebene ungünstig ist. Entnahmen in Deutschland dürfen nicht dazu führen, dass dadurch die Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands in einem anderen EU-Mitgliedstaat verhindert wird.

Wie der Entwurf der Gesetzesbegründung betont, soll die Erstellung eines „revierübergreifenden Managementplans“ sicherstellen, dass die Jagd auf den Wolf so gesteuert wird, dass der günstige Erhaltungszustand im jeweiligen Bundesland gewahrt bleibt. Nähere Vorgaben hinsichtlich der Anforderungen an diese Managementpläne sollen im Rahmen einer Rechtsverordnung festgelegt werden. Erst wenn diese vorliegt, kann tatsächlich beurteilt werden, ob die Managementpläne den europarechtlichen Vorgaben der FFH-Richtlinie genügen. So schreibt Art. 14 FFH-RL z.B. vor, dass sie die Fortsetzung der Überwachung gemäß Art. 11 FFH-RL beinhalten müssen. Eine europarechtskonforme Regelung setzt mithin auch voraus, dass diese Überwachung belastbare Zahlen zur Bestandsentwicklung liefert und sichergestellt wird, dass weder in den einzelnen Bundesländern noch insgesamt in Deutschland die für einen günstigen Erhaltungszustand erforderliche Populationsgröße unterschritten wird. Erhalten bleiben muss auch eine arttypische Populationsstruktur.

Der EuGH hat hierzu ausgeführt: Die Anzahl der maximalen Bestandsreduktion ist anhand von fundierten wissenschaftlichen Daten in Bezug auf Geografie, Klima, Umwelt und Biologie sowie anhand von Daten, die eine Beurteilung der Situation hinsichtlich der Fortpflanzung und der jährlichen Gesamtsterblichkeitsrate aufgrund natürlicher Ursachen der betreffenden Art erlauben, zu bestimmen (vgl. EuGH Urt. v. 8.6.2006 – C‑60/05, Rn. 25 und 29, vom 21.6.2018 – C‑557/15, Rn. 62, und Urt. v. 10.10.2019 – C-674/17, Rn. 71). Dabei muss auch die Gefahr von erheblichen negativer Auswirkungen auf die Struktur der betreffenden Population ausgeschlossen werden. Eine derartige Gefahr kann bereits dann bestehen, wenn die Anzahl der Entnahmen für sich genommen der Wahrung eines günstigen Erhaltungszustands der Populationen der betreffenden Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet nicht schaden würde, EuGH, Urt. v. 10.10.2019 – C-674/17, Rn. 72. 

Andrea Hagn:

Im Referentenentwurf sollen Entnahmen in sogenannten „Weidegebieten“ erleichtert werden, insbesondere wenn diese aufgrund der Geländebedingungen oder der naturräumlichen Gegebenheiten schwer schützbar sind, wie z.B. in der Alpenregion. Ist das europarechtlich möglich?

Jochen Schumacher:

Der Referentenentwurf sieht hierbei sogar vor, dass eine Bejagung des Wolfs in diesen „Weidegebieten“ auch bei einem ungünstigen Erhaltungszustand uneingeschränkt zulässig sein soll. 

Wie bereits gesagt, knüpft die FFH-Richtlinie die Zulässigkeit von Entnahmen ausdrücklich an das Vorliegen eines günstigen Erhaltungszustands. Der EuGH hat hierzu in ständiger Rechtsprechung geurteilt, dass der günstige Erhaltungszustand der Populationen in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet eine unabdingbare Voraussetzung für die Zulassung der in Art. 16 Abs. 1 FFH-RL vorgesehenen Ausnahmen darstellt (vgl. EuGH, C-601/22 (Tirol), Rn. 52). Nur ausnahmsweise sind Ausnahmen auch bei Vorliegen eines ungünstigen Erhaltungszustands zulässig. In diesem Fall muss aber hinreichend nachgewiesen sein, dass die erteilte Ausnahme für die betreffende Art „neutral“ ist, sie also nicht geeignet ist, den ungünstigen Erhaltungszustand dieser Populationen zu verschlechtern oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands zu behindern (EuGH, Urt. v. 14.6.2007, Kommission/Finnland, C-342/05, Rn. 29). Die ausnahmsweise Gewährung solcher Ausnahmen muss jedoch immer auch dem in Art. 191 Abs. 2 AEUV verankerten Vorsorgegrundsatz Rechnung tragen: von dem Erlass oder der Durchführung einer solchen Ausnahmeregelung muss demnach abgesehen werden, wenn nach der Prüfung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten eine Ungewissheit darüber bestehen bleibt, ob der günstige Erhaltungszustand der Populationen einer vom Aussterben bedrohten Art trotz dieser Ausnahmeregelung gewahrt oder wiederhergestellt werden kann (EuGH, C-674/17 (Tapiola) Rn. 66).

Der in dem Entwurf enthaltene § 22c Abs. 4 Nr. 3 BJagdG-E steht im Widerspruch zu den europarechtlichen Vorgaben aus Art. 16 Abs. 1 der FFH-Richtlinie, da die geplante Regelung generell den Abschuss des Wolfs in den festgelegten Weidegebieten erlaubt, ohne dass vorab geprüft werden muss, ob sich eine Entnahme negativ auf den Erhaltungszustand auswirkt. Selbst bei Vorliegen eines ungünstigen Erhaltungszustands wird die Entnahme in diesen Gebieten – entgegen der EuGH-Rechtsprechung – an keine Bedingungen geknüpft. Auch geht die Regelung davon aus, dass keine Alternativen zum Abschuss bestehen, weil diese Gebiete entweder aufgrund der Geländebedingungen nicht schützbar oder aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten nicht zumutbar wolfsabweisend zäunbar seien. 

Zur Frage, ob Herdenschutzmaßnahmen, zu denen die Einrichtung von Zäunen, der Einsatz von Hirtenhunden oder die Begleitung der Herden durch Hirten gehören, eine im Sinne von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL zufriedenstellende alternative Maßnahme zur Tötung des reißenden Wolfs darstellen, wenn die Durchführung solcher Maßnahmen mit besonders hohen Kosten verbunden ist, hat der EuGH deutlich gemacht, dass die wirtschaftlichen Kosten einer technisch durchführbaren alternativen Maßnahme u.a. als eines der abzuwägenden Kriterien berücksichtigt werden dürfen, ohne jedoch ausschlaggebenden Charakter zu haben. Es könne nämlich nicht zugelassen werden, so der EuGH, dass eine anderweitige zufriedenstellende Lösung von vornherein allein deshalb verworfen werden kann, weil die wirtschaftlichen Kosten ihrer Durchführung besonders hoch wären (EuGH, C-601/22 (Tirol), Rn. 82). Diese EuGH Rechtsprechung ist bei der Bestimmung der in § 22c Abs. 4 Nr. 3 BJagdG-E genannten Weidegebiete zwingend heranzuziehen. Insbesondere ist auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass etwa der Einsatz von Hirtenhunden und die Begleitung der Herden durch Hirten vielfach auch dort problemlos möglich ist, wo technische Schutzmaßnahmen nur schwierig oder nicht umsetzbar sind (EuGH, C-601/22 (Tirol), Rn. 81). An diesen Kriterien muss sich auch die mögliche Ausweisung von Weideschutzgebieten orientieren.

Andrea Hagn:

Der Entwurf spricht in § 22c Abs. 2 BJagd-E von Jagdzeiten, aber nicht von verbindlichen Quoten. Wie müssten Quoten im Sinne der FFH-Richtlinie ausgestaltet werden?

Jochen Schumacher:

Der Referentenentwurf stellt zwar nicht direkt auf verbindliche Quoten ab, er regelt aber in § 22c Abs. 2 BJagdG-E, dass die Jagd nach Maßgabe des Managementplans auszuüben ist. Hierzu gehört selbstverständlich auch eine klare Vorgabe für die Anzahl der maximal entnehmbaren Individuen („Quote“). Eine Konkretisierung muss im Rahmen der noch zu erlassenden Rechtsverordnung erfolgen. Für eine europarechtskonforme Ausgestaltung muss dabei sichergestellt sein, dass der günstige Erhaltungszustand trotz der Entnahmen sowohl landes- als auch bundesweit erhalten bleibt und der Wolf gegen jede Verschlechterung dieses Zustands geschützt wird (vgl. EuGH, C-601/22 (Tirol) Rn. 44). 

Quoten müssen wissenschaftlich hergeleitet werden und auf fundierten und aktuellen wissenschaftlichen Daten beruhen. Wie bereits ausgeführt, müssen die Daten eine Beurteilung der Situation hinsichtlich der Fortpflanzung und der jährlichen Gesamtsterblichkeitsrate aufgrund natürlicher Ursachen der betreffenden Art erlauben (vgl. EuGH, C-674/17 (Tapiola), Rn. 81 f.) und auch die Populationsstruktur berücksichtigen.

Die Quoten müssen zudem in einem jährlichen Turnus überprüft und ggf. angepasst werden, um eine Verschlechterung des Erhaltungszustands zu verhindern. 

Andrea Hagn:

Der Referentenentwurf äußert sich nicht dazu, ob alle anthropogen hervorgerufenen Mortalitäten wie Verkehrsunfälle und illegale Tötungen angerechnet werden müssen. Wie ist das europarechtlich einzuordnen?

Jochen Schumacher:

Im Rahmen der Quotenfestlegung müssen auch alle anthropogen hervorgerufenen Mortalitäten (z.B. Verkehrsunfälle, illegale Tötungen, Vergiftungen, Fehlabschüsse) berücksichtigt werden. Sofern verlässliche Zahlen über derartige Tierverluste vorliegen, können diese bereits in die Festlegung der Quote einfließen; geschieht dies nicht oder übertreffen diese Verluste die prognostizierten Todesfälle, so ist jeder (weitere) anthropogen bedingte Tierverlust auf die Quote anzurechnen.

Andrea Hagn:

Was ist, wenn die Quote bereits ausgeschöpft ist – etwa im Februar, wenn die Jagdzeit laut Gesetzentwurf endet – und erst danach ein Wolf auffällig wird, der wiederholt ordnungsgemäß geschützte Herden überwindet. Also ein Tier, das tatsächlich ein problematisches Verhalten zeigt. Wie wäre in diesem Fall vorzugehen? Darf ein solches Tier noch entnommen werden, obwohl das jährliche Kontingent schon verbraucht ist?

Jochen Schumacher:

Tatsächlich regelt der Referentenentwurf in § 22c Abs. 2 Satz 4 BJagdG-E, dass in der Schonzeit die Regelung des § 22 Abs. 3 BJagdG-E entsprechend gilt, wonach „Problemwölfe“ ganzjährig und unabhängig vom Erhaltungszustand entnommen werden dürfen. Insofern möchte ich auf meine Ausführungen zur Frage „„Problemwölfe“ – was ist rechtlich wirklich möglich?“ verweisen. 

Außerhalb der Schonzeit ist die Jagd nach Maßgabe des Managementplans auszuüben. Wie mit Problemwölfen umzugehen ist, wenn eine im Managementplan festgelegte Quote bereits ausgeschöpft ist, regelt der Gesetzentwurf nicht. Auch hierzu muss abgewartet werden, ob und ggf. welche Konkretisierungen die noch zu erlassende Rechtsverordnung beinhalten wird. Klar ist hierbei jedoch, dass Art. 14 FFH-RL die Entnahme aus der Natur von Exemplaren der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten des Anhangs V sowie deren Nutzung nur gestattet, wenn dies mit der Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustands vereinbar ist. Ist die Quote ausgeschöpft und kann eine Verschlechterung des Erhaltungszustands bei einer weiteren Entnahme nicht sicher ausgeschlossen werden, dürfen keine weiteren regulären Entnahmen i.S.v. Art. 14 FFH-RL mehr stattfinden. Hier bleibt dann nur noch die Möglichkeit, eine Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL anzustreben.

Andrea Hagn:

Wie lautet Ihr persönliches Gesamtfazit zum Referentenentwurf?

Jochen Schumacher:

Mit dem vorliegenden Entwurf will der Gesetzgeber der Forderung einzelner Interessengruppen nachkommen. Dies zeigt sich bereits in der Einleitung zum vorliegenden Gesetzentwurf. Hier wählt der Gesetzgeber bei der Nennung der Zahl der Nutztierrisse das Bezugsjahr 2023 und damit das Jahr mit den weitaus höchsten Schadenszahlen (1.268 Übergriffe, rund 5.727 Nutztiere durch Wölfe gerissen oder verletzt). 2024 die Anzahl der geschädigten Nutztiere um ca. 25% zurück (DBBW, Bericht zu Prävention und Nutztierschäden 2024).

Der Entwurf verfehlt die europarechtlichen Anforderungen in wesentlichen Punkten. Bei der Entnahme von Wölfen aus einem ungünstigen Erhaltungsziel wird die absolute Ausnahme (vgl. EuGH) zum Regelfall gemacht. Für ein Bestandsmanagement müssen konkretisierende Teile in einer noch zu erlassenden Verordnung aufgenommen werden, das Gesetz sollte aber hierfür Eckpunkte enthalten (z.B. Kriterien für das Monitoring und Vorgaben für Berechnung der Entnahme). Die EuGH-Rechtsprechung wird ignoriert, und die vorgeschlagenen Maßnahmen würden in dieser Form vor Gericht keinen Bestand haben.

Aus meiner Sicht ist eine umfassende Überarbeitung zwingend notwendig.

Herzlichen Dank, Herr Schumacher, für dieses ausführliche Gespräch.

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