Das geistige Zentrum eines grenzüberschreitenden Netzwerks zur Steuerung des Wolfsmanagements im Alpenraum
Einleitung
Der Begriff “Wiener Schule des Wildtiermanagements” wird in Fachkreisen und zunehmend in der öffentlichen Debatte für jene Gruppe von Wissenschaftler:innen, Behördenvertreter:innen und Politiker:innen verwendet, die in Österreich – vornehmlich aus Wien stammend – Strategien für das Wildtiermanagement entwickelt haben. Diese Schule prägte etwa die wildökologische Raumplanung (WÖRP), ein ursprünglich forst- und jagdwissenschaftliches Instrument, das in Österreich seit den 1980er-Jahren etabliert wurde[1][2]. Zunehmend fließen ihre Konzepte nun auch in das Management streng geschützter Arten wie des Wolfs ein, was Fragen nach der Vereinbarkeit mit EU-Naturschutzrecht aufwirft. Dieser Bericht analysiert die Entwicklung der WÖRP, stellt zentrale Akteure und Institutionen der “Wiener Schule” vor, beleuchtet die Transformation der WÖRP hin zum politischen Steuerungsinstrument im Wolfsmanagement und untersucht die rechtliche Flankierung dieser Entwicklungen durch Gutachten. Konkrete Beispiele aus österreichischen Bundesländern sowie der EU-rechtliche Rahmen (inklusive aktueller EuGH-Urteile) werden dargestellt. Ein Zeitstrahl skizziert die institutionelle Entwicklung, eine Akteursübersicht fasst die wichtigsten Personen, Rollen und Einflussbereiche tabellarisch zusammen, und ein mögliches Netzwerkdiagramm illustriert die Verflechtungen zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Politik.
So zeigt der Artikel, wie Wien zum geistigen Zentrum einer politisch wirksamen, aber rechtlich fragwürdigen Wildtierpolitik wurde – und wie aus einem ökologischen Planungsinstrument ein System wurde, das flächendeckende Wolfsabschüsse ermöglicht und legitimiert.
Entstehung und Entwicklung der wildökologischen Raumplanung (WÖRP)
Wildökologische Raumplanung (WÖRP) bezeichnet ein großräumiges, integratives Planungsinstrument, das in Österreich seit Anfang der 1980er Jahre entwickelt wurde[1]. Ziel der WÖRP war es von Beginn an, die Nutzung von Wildtieren im Lebensraum Kulturlandschaft mit den Erfordernissen von Forst- und Landwirtschaft in Einklang zu bringen[3][4]. Als theoretische Grundlage diente eine populationsökologische Betrachtung: Wildtiere sollten räumlich nach Populationseinheiten gemanagt werden, jenseits politisch-administrativer Grenzen[5]. Zentral ist dabei die Einteilung des Raums in Wildräume (Gebiete, in denen sich eine Wildtierpopulation weitgehend aufhält) sowie innerhalb dieser Wildräume die Ausweisung von Kernzonen, Randzonen und Freizonen, je nach Eignung des Habitats und gewünschter Wilddichte[6][7]. Dadurch soll der Wildbestand dort konzentriert werden, wo er ökologisch und landeskulturell tragbar ist, und empfindliche Gebiete (z.B. Schutzwald oder landwirtschaftliche Flächen) sollen entlastet werden.
Institutionelle Ursprünge: Geprägt wurde die WÖRP maßgeblich durch die Wiener Forschungslandschaft. Insbesondere das Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni Wien – unter Leitung von Prof. Friedrich Reimoser ab 1990 – sowie das Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft (IWJ) der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien galten als ideenschmiedende Zentren. Friedrich Reimoser, ursprünglich Forstwissenschaftler, arbeitete seit 1982 am FIWI und baute dort die Abteilung Wildökologie auf[8]. Gemeinsam mit Kolleg:innen wie seiner Ehefrau Dr. Susanne Reimoser entwickelte er die methodischen Grundlagen der WÖRP. Diese wurden in Pilotprojekten erprobt und in Lehrveranstaltungen an Vetmeduni und BOKU vermittelt. Unterstützt wurde die Konzeptentwicklung durch das Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) und praktische Erfahrungen der Landesjägerschaften.
Bereits Mitte der 1980er wurde WÖRP in ersten Regionen angewandt – vorrangig für Rotwild (Cervus elaphus), das in den Alpen starke forstliche Verbissschäden verursachte[9]. Auch Gamswild, Steinböcke, Muffelwild und Schwarzwild (Wildschweine) gehörten zu den ursprünglichen Zielarten großräumiger Planungen[9]. In den Folgejahren wurde WÖRP auf praktisch alle heimischen Schalenwildarten ausgedehnt; selbst für Raufußhühner (Auer-, Birk-, Haselhuhn, Schneehuhn) erwies sich das zonierte Habitatmanagement als nützlich[10]. Die Konzepte flossen etwa in Rotwild-Fütterungsstrategien ein („Lenkung“ des Wildes durch Fütterungen in Kerngebieten) und in Abschussplanungen, um Wilddichten kleinräumig zu steuern.
WÖRP in den Jagdgesetzen der Bundesländer
Der institutionelle Durchbruch der WÖRP erfolgte, als sie in Landesjagdgesetzen verankert wurde. Die nachfolgende Zeitleiste skizziert die Entwicklung:
- 1988: Vorarlberg übernimmt als erstes Bundesland die WÖRP in sein Jagdgesetz[11]. Damit wird die großräumige Wildraumplanung rechtlich vorgeschrieben – ein Pionierschritt, der Vorarlberg bis heute als Modellregion ausweist („30 Jahre WÖRP in Vorarlberg“ wurde 2018 gefeiert).
- Frühe 1990er: Salzburg folgt und verankert WÖRP gesetzlich[2]. Auch im Schweizer Kanton Graubünden wird ein analoges Konzept in die Jagdgesetzgebung integriert[2]. Die WÖRP etabliert sich damit überregional.
- 1990er Jahre: In Tirol und Oberösterreich wird WÖRP verwaltungsintern aufgegriffen, zunächst ohne explizite Gesetzesnennung. Es entstehen aber bereits Wildraum-Pläne für Rotwild (etwa im Kalkalpengebiet Oberösterreich, vernetzt mit dem Nationalpark Kalkalpen[6]).
- 2003: Kärnten erstellt einen ersten umfassenden WÖRP-Plan für das gesamte Landesgebiet[12]. Die wissenschaftliche Leitung lag bei einem Arbeitskreis unter Landesjägermeister DI Dr. Ferdinand Gorton mit Experten u.a. von BOKU und FIWI.
- 2004: Kärnten erlässt auf Basis des neuen Jagdgesetzes §55a K-JG die erste WÖRP-Verordnung, die am 1.1.2005 in Kraft tritt[13]. Darin wird das Land in Wildräume gegliedert und Rotwild-Zonen (Kern-, Rand-, Freizonen) festgelegt. In den Folgejahren wird die Kärntner WÖRP-Verordnung mehrfach adaptiert (2006, 2012, 2013, 2016)[14].
- Um 2005: In der Steiermark wird versucht, die WÖRP für Rotwild einzuführen. Es gab Modellplanungen (z.B. im Gesäuse), doch stieß das Konzept auf massiven Widerstand einiger Grundbesitzer und Jägerschaften. Die Steiermark verzichtete letztlich auf eine verbindliche WÖRP – der Begriff wurde dort zum „negativen Reizwort“[15].
- 2010er Jahre: Weitere Verfeinerung in Vorarlberg, Salzburg, Kärnten: Die Zonenplanungen werden evaluiert und teils erweitert (z.B. Ausweisung von Rotwild-Korridoren zwischen Kernzonen). Tirol und Niederösterreich beziehen WÖRP-Kriterien punktuell in regionale Abschussplanungen ein.
- 2016: In Oberösterreich führt die Landesjägerschaft eine WÖRP-ähnliche Planung in Problemregionen durch (OÖ Jägerverband, Juni 2016 Bericht[2]). Insgesamt ist WÖRP nun in den meisten west- und südösterreichischen Bundesländern als Planungsstandard anerkannt.
- Ab 2020: Im Kontext großer Beutegreifer gewinnt WÖRP neue Brisanz (siehe unten). 2024 findet etwa ein Wildökologisches Forum Alpenraum zum Thema “Zukunft der WÖRP” in Salzburg statt, wo Vertreter der Wiener Schule (u.a. Prof. Klaus Hackländer, Prof. Roland Norer) mit Praktikern diskutieren[16].
Theoretische Leitplanken: Die WÖRP basiert auf dem Prinzip der Biotoptragfähigkeit vs. Wildbestand. Es soll ein “Wald-Wild-Umwelt-Gleichgewicht” angestrebt werden[17]. Dazu gehören Teilziele wie Lebensraumerhaltung (Biodiversitätsschutz), Vermeidung untragbarer Wildschäden in Wald und Feld, Planung auf Populationsebene (über Reviergrenzen hinweg) und Konfliktminimierung durch partizipative Prozesse[18][19]. WÖRP wird als integrativer Ansatz verstanden, der ökologische Fakten (Habitateignung, Wilddichte) und sozio-ökonomische Zwänge (Jagdwert, Grundbesitzinteressen, Tourismus) zusammenführt[20][21]. Dass dies ein Balanceakt ist, zeigten von Beginn an typische Knackpunkte bei der Umsetzung: Etwa die Sorge von Grundbesitzern vor Jagdwertminderung in Freizonen oder tradierte Widerstände gegen höhere Abschüsse in Schutzwäldern [22][23]. Einige dieser Herausforderungen konnten durch gesetzliche Verankerung der WÖRP entschärft werden (z.B. Pflicht zur objektiven Wildschadens-Erhebung, Möglichkeit jagdlicher Ruhezonen etc.), andere – wie das Überwinden traditioneller Denkweisen – blieben bestehen[24][25].
Ursprüngliche Zielarten: Im Fokus der WÖRP standen zunächst große Schalenwildarten. Insbesondere Rotwild und Gamswild wurden in den Alpen als konfliktträchtig identifiziert (Schäden im Schutzwald, Verbiss an Verjüngungen). WÖRP-Zonen – z.B. Rotwild-Freizonen in ungeeignetem Lebensraum – sollten den Wildstand dort gegen Null reduzieren[26]. Auch für Steinwild (Alpensteinbock) und Muffelwild wurden Raumpläne erstellt, um Wiederansiedlungen bzw. Bestandsentwicklungen zu steuern[9]. Schwarzwildprofitierte in Tieflagen von der Planung großräumiger Bejagungskorridore. Sogar kleinräumigere Arten wie Birkhühner wurden in die Überlegungen einbezogen, etwa durch Ausweisung von störungsarmen Balzgebieten. Ein kurioses Beispiel für die breite Anwendbarkeit: Selbst für den Biber wurde WÖRP als “interessanter Anwendungsfall” genannt[27] – hier in Bezug auf Vernetzungsachsen entlang von Gewässern.
Zusammenfassend hat sich die WÖRP in Österreich über vier Jahrzehnte von einer forstlich motivierten Idee zu einem festen Bestandteil des Jagd- und Wildtiermanagements entwickelt. Ihre erfolgreiche Umsetzung beruhte auf Wiener Expertise (FIWI, BOKU) und der Kooperation zwischen Wissenschaft, Jägerschaft und Verwaltung vor Ort. Diese “Wiener Schule” des integrativen Wildtiermanagements hat wesentlich dazu beigetragen, Wildbestände und Landnutzung in Einklang zu bringen – zumindest für klassische Wildarten. Im nächsten Schritt betrachten wir die Akteure dieser Schule und ihre Rollen.
Akteure der Wiener Schule: Wissenschaft, Verwaltung und Politik
Die folgenden Personen gelten als zentrale Vertreter:innen bzw. Einflussnehmer der “Wiener Schule des Wildtiermanagements”. Es handelt sich teils um Wissenschaftler:innen, teils um in Verwaltung und Politik eingebundene Experten. Die Tabelle gibt einen Überblick:
| Name | Institution/Position | Rolle & Einflussbereich |
| Prof. Friedrich Reimoser(geb. 1952) | Em. Professor Vetmeduni Wien (FIWI); Hon.-Prof. BOKU Wien (IWJ); ehem. BFW | Wissenschaftlicher Pionier. Mitbegründer der WÖRP seit den 1980ern[1]. Leitete am FIWI die Wildökologie (1990–2012)[8]. Zahlreiche Projekte & Publikationen (Wildschäden, Jagd) – prägte Strategie und Ausbildung einer Generation von Wildökolog:innen. Beriet Landesjägerschaften bei WÖRP-Umsetzung. |
| Dr. Susanne Reimoser | Biologin, assoziiert mit FIWI und BOKU | Wissenschaft und Praxis. Langjährige Mitarbeit an WÖRP-Studien (häufig Ko-Autorin mit F. Reimoser). Beschäftigt sich mit Wildschadenserhebungen und Indikatoren für Wilddichten. Bindeglied zwischen Forschung und Jägerschaft (Publikationen in Jagdzeitschriften). |
| Prof. Klaus Hackländer (geb. 1971) | Professor an der BOKU Wien, Leiter Inst. f. Wildbiologie & Jagdwirtschaft; Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung seit 2021 | Wissenschaftskommunikator und Manager, bekanntester Wildbiologe Österreichs. Forscht zu Wildökologie, besonders Säugetiere, und setzt sich für nachhaltige Jagd ein. Er hat starken politischen Einfluss und verbindet Forschung mit Jagdpolitik. |
| Dr. Jennifer Hatlauf | Wildbiologin, Projektleiterin BOKU (IWJ) | Nachwuchsexpertin Großraubtiere. Promoviert bei Hackländer. Leitete das Bundesprojekt zur Wolf-Habitat- und Konfliktmodellierung[29][30]. Entwickelte praxistaugliche Wolfsmanagement-Vorschläge für Alpenregionen (u.a. für die Schweiz)[31]. Sie repräsentiert die neue Generation der Wiener Schule, spezialisiert auf die Koexistenz von Mensch und Großraubwild. |
| Dr. Franz Suchentrunk (geb. 1953) | Zoologe und Genetiker, Assoc. Scientist am FIWI Vetmeduni Wien | Forschung & Artenschutz. Langjähriger Evolutionsökologe am FIWI. Arbeitete zu Wildtiergenetik (Luchs, Feldhase etc.). In der Wolfsthematik als wissenschaftlicher Mahner aktiv: betont Wichtigkeit genetischer Monitoringdaten für Wolfsmanagement. Hat in Expertengremien zum Wolf mitgewirkt (z.B. beim „Österr. Zentrum Bär, Wolf, Luchs“). |
| DI Hubert Schatz (geb. 1961) | Wildökologe des Landes Vorarlberg; Leiter Koordinationsstelle Großraubwild Vbg. | Verwaltungspraktiker. Zuständig für Wolfsmonitoring und -management in Vorarlberg[32]. Implementiert WÖRP-Grundsätze auf Landesebene (Mitautor von Wildraumkonzepten Vbg.). Leiter der Landes-Koordinationsgruppe Wolf[33], Bindeglied zw. Bauern, Jägern und Naturschutz. Hat Wolfs-Abschüsse fachlich beurteilt, äußert sich aber differenziert (betonte z.B., dass es 2023 keinen objektiven Grund für einen Abschuss gab[34]). |
| Dr. Claudia Bieber (geb. 1973) | Leiterin des FIWI, Vetmeduni Wien (seit 2023) | Wissenschaft & öffentliche Beratung. Übernahm die FIWI-Leitung von Prof. Walter Arnold. Schwerpunkt in Wildtierphysiologie und Populationsdynamik. Als Institutsleiterin nun Stimme der Wiener Wildtierforschung in Gremien. Trat 2022/23 mit klaren Aussagen hervor, z.B. dass der erste österreichische Wolfsmanagementplan fertiggestellt sei[35]. Sie steht für eine evidenzbasierte Linie. |
| Prof. Roland Norer (geb. 1968) | Professor für Öffentliches Recht, Univ. Luzern (Schweiz); Hon.-Prof. BOKU Wien; ehem. Ministerialbeamter Österr. Agrarministerium | Juristischer Begleiter. Siehe Abschnitt Rechtliche Flankierung unten. Verfasst Gutachten, die rechtliche Spielräume für Wolfsabschüsse ausloten. Einflussreich durch enge Vernetzung mit österreichischen Stellen (Lehrt seit 2004 an BOKU[38], war selbst im Ministerium tätig). Sein Gutachten 2021 wurde von mehreren Bundesländern als Grundlage herangezogen[39]. |
Diese Übersicht zeigt die Bandbreite der Akteurslandschaft. Auffällig ist, dass Wissenschaftler in Personalunion oft auch in jagdlichen oder administrativen Funktionen tätig sind (Hackländer, Norer), was den Einfluss der Wiener Schule verstärkt. Einige, wie Reimoser, legten den Grundstein methodisch; andere, wie Hackländer und Norer, steuern nun aktiv Policy-Prozesse. Der gemeinsame Nenner ist das Netzwerk: Über Publikationen, Projekte und Gremien sind diese Personen eng verbunden. So arbeiten etwa Hatlauf und Hackländer mit praktisch allen Bundesländern zusammen (siehe Finanzierung ihres LeKo-Wolf Projekts[40]). Hubert Schatz tauscht sich mit Tiroler Kollegen aus (gemeinsame Rissdatenbank Vorarlberg/Tirol[41]). Roland Norer agiert transnational (berät neben Österreich z.B. auch Südtirol und die Schweiz in Sachen Wolf). Dieses Geflecht kann man sich als Netzwerkgrafik vorstellen, in dem Wien (Vetmeduni/BOKU) als Knotenpunkt dient, von dem Wissen und Personen in die Fläche wirken.
Von der WÖRP zum Wolfsmanagement: Transformation des Instruments
Ursprünglich als forstlich-jagdliches Planungsinstrument für Schalenwild konzipiert, erfährt die WÖRP seit einigen Jahren eine funktionale Neuinterpretation: Sie wird zum politischen Steuerungsinstrument im Umgang mit streng geschützten Arten, allen voran dem Wolf (Canis lupus). Dabei wird das vertraute Vokabular der WÖRP – Wildräume, Zonen, Managementpläne – nun auf den Wolf angewandt, was in der Praxis auf eine räumliche Regulierung von Wolfspräsenz hinausläuft.
Neue Herausforderung: Rückkehr des Wolfs
Nach über 100 Jahren Abwesenheit etablieren sich seit ca. 2016 wieder Wolfsrudel in Österreich (erstmals nachgewiesen im Truppenübungsplatz Allentsteig/NÖ)[42]. Insbesondere Westösterreich (Tirol, Salzburg, Kärnten) gilt als “Wolfshotspot”[44] wegen der geographischen Nähe zu italienischen und slowenischen Quellpopulationen. Gleichzeitig hat Österreich eine sehr extensive Alpwirtschaft (jährlich ~300.000 Rinder und 100.000 Schafe auf Sommerweiden)[45]. Es kam zu hunderten Nutztierrissen – 2022 etwa 800 gerissene Schafe/Ziegen[46]. Diese Situation führte zu einem starken politischen Ruf nach “Management” des streng geschützten Wolfs, da Bäuer:innen um ihre Existenz fürchteten und Naturschutzseite und Wissenschaft auf Herdenschutz als Lösung verwiesen. Hackländer selbst schrieb aber in dem Werk: “Entwicklung von Wildtiermanagement-Strategien bei Anwesenheit großer Beutegreifer Lösungsansätze für forstwirtschaftliche Betriebe (2019).” folgendes zum Thema Wolf und Wildökologische Ruamplanung:
Kapitel 5.1.1.: Schutz der Wildlebensräume, Wildökologische Raumplanung: Die wildökologische Raumplanung, die bisher nur in wenigen Bundesländern gesetzlich implementiert ist, bezieht sich derzeit auf Schalenwild und nicht auf große Beutegreifer. Zonen, die von großen Beutegreifern freizuhalten sind (z.B. „wolfsfreie Zonen“, wie sie etwa für die Alpen von diversen Interessengruppen gefordert werden), sind aufgrund der Gesetzeslage, aber auch wegen des Zuwanderungsdrucks in absehbarer Zeit weder realistisch, noch erscheinen sie praktikabel. Konkret für das Beispiel wolfsfreier Zonen würde sich für betroffene Weidetierhalter dadurch auch kein absoluter Schutz ergeben, weil aus angrenzenden Gebieten ständig Wölfe einwandern, die Weidetiere reißen, bevor sie entnommen werden können; deshalb müssten selbst in erklärten „wolfsfreien Zonen“ Herdenschutzmaßnahmen ergriffen werden (Wolfs Science Center 2018). Außerdem ist weitgehend ungeklärt, wer für die Entnahme von großen Beutegreifern in solchen Zonen verantwortlich wäre. Das betrifft auch die Frage, ob die mit der Entnahme beauftragten Personen für nicht erlegte große Beutegreifer in solchen Zonen haftbar gemacht werden könnten. Da eine Steuerung der Wilddichte von Schalenwild in einem bestimmten Gebiet auf Revierebene beim Vorhandensein von großen Beutegreifern nicht vorhergesagt werden kann, sollten Konflikte und Interessengegensätze revierübergreifend bearbeitet werden können. Dies nicht nur auf freiwilliger Basis, sondern auch auf Länderebene (und zwischen den Ländern, etwa basierend auf Art 15a B-VG Vereinbarungen) (S. 95).
Übertragung der WÖRP-Methodik auf den Wolf
Die in der Wiener Schule entwickelten Planungsgrundsätze wurden nun auf den Wolf übertragen. Konkret zeigt sich die Transformation der WÖRP in folgenden Aspekten:
- Großräumige Planungseinheiten: Anstelle von Rotwild-Wildräumen definiert man Wolfs-Ausbreitungsgebiete. Das Lebensraum- und Konfliktmodell Wolf (LEKO) von Hatlauf et al. 2025 teilt z.B. ganz Österreich in Raster und identifiziert Regionen mit hoher Habitatqualität vs. hohe Konfliktwahrscheinlichkeit (viele Nutztiere, wenig Schutz)[30]. Diese Erkenntnisse können zur Zonierung herangezogen werden.
- Zonen-Konzepte: Einige Bundesländer greifen das Schema Kernzone – Randzone – Freizone auf und adaptieren es als “Wolfsfreihaltegebiete” (informell so genannt). So hat Tirol faktisch alle 2100 Almen als “Almschutzgebiete” deklariert, in denen Wölfe unerwünscht sind und Abschüsse erleichtert werden sollen[47]. Salzburg definierte 2023 per Verordnung mehrere Jagdgebiete im Pinzgau/Pongau als Maßnahmengebiet Wolf, um dort einen sogenannten „Problemwolf“ zum Abschuss frei zugeben[48][49]. Diese Gebiete decken sich im Wesentlichen mit bestehenden Rotwild-Wildregionen (d.h. man nutzt die vorhandene räumliche Gliederung der WÖRP und erklärt sie zu Wolfs-Interventionszonen).
- Begriffsübernahme: Dokumente sprechen vom “Wald-Wild-Umwelt-Gleichgewicht”, das durch den Wolf gestört sei und wiederhergestellt werden müsse[50] – ironischerweise ein Begriff aus der WÖRP, der ursprünglich den Ausgleich zwischen Wildverbiss und Wald meinte. Ebenfalls wird der WÖRP-Begriff “tragbarer Wildbestand” adaptiert: Nun argumentiert man, ein „tragbarer Wolfsbestand“ sei überschritten, wenn z.B. Almregionen flächig beweidet werden. Diese begriffliche Anlehnung verleiht wolfbezogenen Maßnahmen einen fachlich-planerischen Anstrich, obwohl der Wolf bis vor kurzem gar nicht Teil der WÖRP war.
- Maßnahmenpläne nach WÖRP-Art: Anstelle langfristiger Managementpläne, wie sie für Rotwild üblich sind, setzen Länder beim Wolf auf kurzfristige Verordnungen mit WÖRP-Charakter. So erließ Tirol 2022/23 zahlreiche temporäre “Maßnahmenverordnungen” pro Wolf: Sie gelten je für 6–8 Wochen in einem Umkreis von 10 km um den Rissort eines Nutztiers[51][52]. Innerhalb dieses Radius darf der “Schadwolf” entnommen werden. Dieses kleinräumig flexible Management entspricht im Prinzip einer extrem fein aufgelösten WÖRP-Detailplanung (vergleichbar mit “Schwerpunktbejagung” in Freizonen bei Schalenwild[53]). Bis September 2025 hatte Tirol bereits 25 solcher Wolfs-Abschussverordnungen erlassen, wovon 5 tatsächlich zum Abschuss führten[54].
- Herdenschutz- vs. Freizone: In der WÖRP können Freizonen ausgewiesen werden, wo Wildtiere zu entfernen sind, weil der Lebensraum ungeeignet ist[26]. Im Wolfskontext definieren Verordnungen nun Gebiete, in denen Herdenschutz „faktisch nicht möglich oder nicht zumutbar“ ist – diese werden explizit “Weideschutzgebiete” genannt[7]. Das Vorarlberger Wolfsmanagement etwa listet als einen Kernpunkt der neuen Wolfsverordnung die Festlegung solcher Weideschutzgebiete (also Wolf-Freizonen)[55]. Damit übernimmt man das Prinzip, dass in bestimmten Zonen eine Tierart nicht geduldet wird und präventiv entfernt werden darf.
Insgesamt verschiebt sich die Funktion der WÖRP hier: War sie ursprünglich ein ökologisch basiertes Abstimmungsinstrument, dient sie nun als politisch-administratives Instrument, um entgegenkommend gegenüber bestimmten Interessengruppen (Almbauern, Jäger) zu handeln. Die Nutzung wissenschaftlicher Terminologie und Planungslogiken der WÖRP soll den Maßnahmen wissenschaftliche Legitimität geben. Kritiker – etwa Umweltanwälte – monieren jedoch, dass diese Analogie fachlich irreführend sei: Die Anwesenheit weniger Wölfe förderte objektiv eher das Wald-Wild-Gleichgewicht (Reduktion von Wildschäden durch scheuere Wildbestände)[17]. Ein Abschuss konterkariere eigentlich die Ziele der Jagdgesetze, würde aber unter Vorwänden wie “Gefahr für die Almwirtschaft” durchgesetzt.
Die Wiener Schule gerät hier in eine bemerkenswerte Doppelrolle: Einerseits stellen Wiener Institute Daten bereit, die die Koexistenz von Wolf und Weide verbessern könnten (z.B. Wolf-Habitatmodelle, Empfehlungen für Herdenschutz). Andererseits stammen auch zentrale Steuerungsansätze für Wolfsfreihaltegebiete aus dem Wiener Dunstkreis (etwa in Form von Rechtsgutachten, siehe nächstes Kapitel). Diese Janusfunktion – wissenschaftliche Grundlage vs. politische Instrumentalisierung – ist Kern der aktuellen Debatte um das Wolfsmanagement im Alpenraum.
Juristische Flankierung: Gutachten von Prof. Dr. Roland Norer und Reaktionen
Parallel zur biologisch-ökologischen Planungsarbeit der Wiener Schule hat sich eine rechtliche Strategie entwickelt, um Wolfsabschüsse trotz strengen Schutzstatus zu ermöglichen. Hier tritt insbesondere Prof. Dr. Roland Norer hervor, der als Agrarrechtsexperte 2021 ein umfangreiches Gutachten zum Wolfsmanagement in Österreich vorlegte[39].
Norers Gutachten und Argumentationsmuster
Roland Norers “Rechtsgutachten Wolfsmanagement in Österreich: Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten”(Mai 2021)[56] wurde vom Verein Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs in Auftrag gegeben[57] und diente mehreren Bundesländern als Entscheidungsgrundlage. Darin entwickelt Norer folgende Kernargumente:
- Zulässigkeit von Verordnungen statt Bescheiden: Bis ca. 2020 wurden Wolfsabschüsse (sofern überhaupt) über Einzelbescheide genehmigt. Norer schlug vor, per Allgemeinverordnung bestimmte Bedingungen festzulegen, unter denen Abschüsse generell erlaubt sind[58]. Dies schränke die Einspruchsmöglichkeiten von NGOs ein (kein individuelles Parteiengehör). Tatsächlich wechselten Länder wie Tirol 2021 auf dieses Modell der “Maßnahmenverordnung”[58], was später gerichtlich kritisch bewertet wurde (siehe EuGH/Aarhus unten).
- “Überwiegendes öffentliches Interesse” der Almwirtschaft: Norer rekurriert auf internationale Abkommen wie das UNESCO-Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe. Er weist darauf hin, dass die Transhumanz (Wanderschäferei) in den Alpen als schützenswertes Kulturerbe anerkannt ist[59][60]. Ebenso nennt er die Alpenkonvention (Protokoll Berglandwirtschaft), die die Erhaltung traditioneller Almwirtschaft als Ziel formuliert[61][62]. Daraus leitet er ab, dass der Schutz der Alm- und Weidewirtschaft ein öffentliches Interesse hohen Ranges darstellt – potentiell ein Ausnahmegrund nach Art. 16(1)(e) FFH-Richtlinie (Interessen von öffentlicher Bedeutung). Diese Argumentation ebnete juristisch den Weg, Wolfsabschüsse nicht nur unter “ernsthaftem Schaden” (lit. b: Nutztierschäden) zu rechtfertigen, sondern als Maßnahme zum Schutz kultureller Tradition und Sicherheit.
- Weideschutzzonen & Zumutbarkeit: Das Gutachten betont, dass in gewissen alpinen Geländeformen Herdenschutz technisch oder wirtschaftlich unzumutbar sei. Norer prägte so das Konzept der “nicht schützbaren Almen”. Sein Vorschlag: Schon ex ante Gebiete definieren (analog Freizonen), in denen die Präsenz von Wölfen zu untragbaren Konflikten führt, da Präventionsmaßnahmen versagen würden[7]. Diese Gebiete könnten als “Weideschutzzonen”verordnet werden – was Vorarlberg 2023 genau so umgesetzt hat[7]. Damit schuf Norer die juristische Legitimation für flächige wolfsfreie Zonen.
- Biogeografische Betrachtung des Erhaltungszustands: Ein kontroverses Element war Norers Hinweis, dass der Wolf auf gesamteuropäischer Ebene einen günstigen Erhaltungszustand aufweise (über 18.000 Wölfe in Europa). Österreich könne daher argumentieren, Entnahmen lokal hätten keinen Einfluss auf die biogeografische Population. Implizit lief dies auf die Forderung hinaus, den Schutzstatus in Österreich zu relativieren und sich am Status in Nachbarländern zu orientieren (z.B. Italien, wo Jagdrecht greift). Diese Sicht wurde jedoch vom EuGH später klar verneint (siehe unten: Maßgeblich ist erst die nationale Ebene)[63][64].
- Verhältnismäßigkeitsprüfung & Kosten-Nutzen-Abwägung: Norer erkannte, dass Abschüsse nur dann genehmigungsfähig sind, wenn keine zumutbare Alternative besteht. Er argumentierte, dass die Kosten und praktischen Grenzen mancher Herdenschutzmaßnahmen in die Abwägung einzubeziehen seien – sprich: Wenn Herdenschutz „unverhältnismäßig aufwendig“ ist, könne der Abschuss verhältnismäßig sein[65][66]. Der EuGH griff dieses Kriterium auf und verlangte eine strenge Kosten-Nutzen-Abwägung zwischen Herdenschutz und Wolfsentnahme[67][66]. Norers Gutachten half den Ländern, genau solche (teils fragwürdigen) Bewertungen in Verordnungen zu schreiben – etwa Salzburg 2023, wo pauschal behauptet wurde, eine 100% Zäunung aller Schafalmen sei nicht zumutbar[50][68]. Die Salzburger Umweltanwaltschaft kritisierte diese Pauschale als unbelegt und generalisierend[17][68].
In Summe gab Norers Gutachten den politisch Verantwortlichen ein Werkzeug, komplexe juristische Anforderungen in scheinbar robuste Rechtsakte zu gießen. Es schlug die Brücke von der reinen Naturschutzperspektive zu einer ganzheitlichen Betrachtung, die sozio-kulturelle Aspekte (Almtradition) und Gefahrenabwehr (öffentliche Sicherheit) betont. Diese Erzählung wurde von Landesregierungen gerne übernommen, um ihre Wolfsverordnungen zu begründen (häufig liest man dort Verweise auf “traditionelle Almwirtschaft” und “Prävention von Schäden an der Kulturlandschaft”).
Landesverordnungen und öffentliche Reaktionen
Auf Grundlage dieser Expertise erließen mehrere Länder 2022/23 Wolfsabschuss-Verordnungen:
- Kärnten: Wolfsverordnung seit Jänner 2022[69], orientiert sich direkt an Norers Kategorien Risikowolf(Annäherung an Siedlungen) und Schadwolf (mehrfache Risse)[69]. Bis Feb. 2023 etwa 40 Abschussfreigaben, 2 Wölfe erlegt[70]. Die Verordnung wurde 2023 erneuert. Kärnten stützte sich ausdrücklich auf externe Gutachten (Norer 2021) und änderte sein Jagdgesetz, um Verordnungen zu ermöglichen[71].
- Tirol: Setzte 2021 zunächst Bescheide aus (nach Beschwerden), dann ab 2022 konsequent auf Verordnungen. Bis Herbst 2023 kumuliert ~25 Verordnungen erlassen, 5 Wölfe tatsächlich entnommen[54]. Tirol erklärte das gesamte Almgebiet zum faktischen Wolfs-Notstandsgebiet. Politische Vertreter (LHStv. Josef Geisler, ÖVP) beriefen sich auf Norers Aussage, wonach man im Rahmen der “Selbsthilfe der Länder” handeln dürfe, da der Bund untätig sei – in Anspielung auf Art. 16 FFH-RL Ausnahmen. Umweltorganisationen (WWF, Ökobüro) bekämpften Tirols Kurs gerichtlich.
- Salzburg: Beschloss im Juni 2023 eine Verordnung, um zwei “auffällige” Wölfe zu entnehmen[72]. Dabei wurden großflächig Gebiete im Pinzgau ausgewiesen, wo “Wald-, Wild- und Umweltgleichgewicht” gefährdet sei[50] – was, wie die Landesumweltanwaltschaft ausführt, sachlich nicht zutrifft, da Wölfe eher zur Gesundung der Wildbestände beitragen[73]. Salzburg argumentierte auch mit der Unzumutbarkeit flächendeckender Zäunungen im Gebirge[68]. Die Verordnung wurde jedoch durch ein Gericht im Juli 2023 suspendiert (Verstoß gegen Beteiligungsrechte).
- Vorarlberg: Lange ohne residenten Wolf, erließ erst im Juli 2023 eine Wolfsmanagement-Verordnung. Deren Ziel: Schutz der öffentlichen Sicherheit und Aufrechterhaltung der Alpwirtschaft[74]. Innovativ regelte Vorarlberg darin explizit Weideschutzgebiete, in denen Einzäunung nicht möglich ist[7]. Diese Vorarbeit erlaubte es im August 2025, nach mehreren Rissen im Walsergebiet, die Maßnahmenverordnung einfach per Verordnung räumlich auszuweiten[75][76]. Die Jägerschaft schoss im August 2025 einen Wolf basierend auf dieser Verordnung[77].
- Niederösterreich, Oberösterreich: Beide strebten 2023 ähnliche Verordnungen an. NÖ hatte schon 2022 nach Vorfällen im Alpenvorland “Problemwolf-Verordnungen” erlassen, die allerdings nicht vollzogen wurden (Wölfe wanderten von selbst ab). OÖ plante Juli 2023 eine Verordnung, stoppte diese aber nach dem gerichtlichen Gegenwind (siehe nächster Abschnitt)[78].
Diese Entwicklungen blieben nicht unwidersprochen. Naturschutzbund, WWF, VGT und andere warfen den Ländern vor, mit fragwürdigen Rechtskonstruktionen den Wolf de facto wieder auszurotten(“Wolfsmanagement = Wiederausrottung” betitelte es eine Initiative). Im Juli 2023 sorgte ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) in Wien für Aufsehen: Der VwGH entschied, dass Verordnungen zum Abschuss streng geschützter Arten rechtswidrig sind, wenn sie die Beteiligungsrechte von Umweltorganisationen aushebeln[79][80]. Hintergrund ist die Aarhus-Konvention, die NGOs Zugang zu Gerichten sichern soll. Die österreichische Praxis, über Verordnungen den Rechtsschutz zu umgehen, wurde damit infrage gestellt[81][82]. Dies ist einer der Gründe, warum die Universität Luzern – Norers Arbeitgeber – öffentlich klarstellte, dass Norers Gutachten eine privatwissenschaftliche Leistung sei und nicht die Position der Universität darstelle. Insbesondere nach dem EuGH-Urteil 2024 (s.u.) distanzierte sich die Uni Luzern von einer weiteren politischen Instrumentalisierung; sie betonte, dass man als akademische Institution die Rechtsprechung achte und die persönlichen Auffassungen eines Professors nicht automatisch die Hochschule repräsentieren. Diese öffentliche Distanzierung war ein bemerkenswerter Schritt, der zeigte, wie heikel das Thema selbst im wissenschaftlichen Umfeld geworden ist.
Norers Reaktion und die der ihm zuhörenden Politik war zwiespältig: Einerseits behauptete etwa der Landwirtschaftskammer-Präsident und NR-Abgeordnete Georg Strasser (ÖVP) unter Berufung auf Norer, dass der EuGH 2024 „die österreichische Wolfsmanagement-Praxis im Wesentlichen bestätigt“ habe[83] – was einer selektiven Lesart gleichkommt (siehe unten). Andererseits mehren sich Stimmen, dass nach den klaren Gerichtsentscheidungen ein Umdenken nötig ist, weg von Verordnungen hin zu präventiveren Ansätzen.
EU-rechtlicher Kontext: Konflikt zwischen EU-Recht und nationaler Praxis
Die Entwicklung im Alpenraum steht unter dem Vorbehalt des EU-Naturschutzrechts, insbesondere der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) und der Berner Konvention. Der Wolf ist in Österreich als Anhang-IV-Art streng geschützt, was ein generelles Abschussverbot bedeutet[84]. Davon kann nur unter engen Ausnahmebedingungen (FFH-RL Art. 16) abgewichen werden. Dieser Rahmen kollidiert zunehmend mit der geschilderten nationalen Praxis. Drei zentrale Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bilden den Hintergrund:
- EuGH C-674/17 (Tapiola) – Urteil vom 10. Oktober 2019: Dieses richtungsweisende Urteil betraf Finnland, ist aber für alle Mitgliedstaaten relevant[85]. Der EuGH stellte klar, dass Genehmigungen zum Abschuss von Wölfen sehr strengen Anforderungen genügen müssen[86]. Insbesondere dürfen Abschüsse nicht dem Ziel widersprechen, einen günstigen Erhaltungszustand der Population zu erreichen[87]. Ausnahmen nach Art. 16 müssten eng ausgelegt werden; insbesondere sei die präventive (vorsorgliche) Entnahme nur zulässig, wenn konkrete Gefahrensituationen bestehen und keine andere Lösung greift[88]. Für Österreich bedeutete Tapiola: Solange der Wolf hier keinen günstigen Status hat (was er nicht hat, da erst am Anfang der Wiederbesiedlung), sind präventive Bestandsregulierungen unzulässig. Dieses Urteil setzte bereits enge Grenzen, die Österreichs Behörden jedoch mit Verweis auf „Einzelfälle“ zu umgehen suchten.
- EuGH C-601/22 (WWF Österreich ./. Tiroler Landesregierung) – Urteil vom 11. Juli 2024: Dieses Verfahren beruhte auf einer Vorlage des Tiroler Landesverwaltungsgerichts und prüfte, ob die österreichische Vorgehensweise mit EU-Recht vereinbar ist[89][90]. Das Urteil war für Österreich ein Paukenschlag: Der EuGH bestätigte, dass das Wolfsjagdverbot auch in Österreich uneingeschränkt gilt[91]. Nur wenn sich die Wolfspopulation in günstigem Erhaltungszustand befindet, kann überhaupt an Abschüsse gedacht werden – was derzeit nicht der Fall ist[90][92]. Wichtig waren auch folgende Klarstellungen:
- Die ungleiche Behandlung in Europa (manche Länder haben Wolf in Anhang V, Österreich in IV) ist rechtlich okay, da Österreich dem hohen Schutzstatus bei EU-Beitritt zugestimmt hat[93]. Ein nachträgliches „angleichen“ an z.B. Italiens Status ist nicht vorgesehen.
- Bei der Voraussetzung des günstigen Erhaltungszustands darf zunächst nur lokal und nationalgeschaut werden; erst wenn national günstig, kann man die grenzüberschreitende Population betrachten[93][94]. Damit erteilte der EuGH der zuvor verbreiteten Ansicht (u.a. von Norer) eine Absage, man könne schlechten Zustand in AT mit gutem Zustand z.B. in Osteuropa kompensieren.
- Die Ausnahme “Verhütung erheblicher Schäden” (Art. 16(1)b) ist streng auf direkte Schäden zu beziehen – indirekte Effekte wie Aufgabe der Almhaltung oder Rückgang der Viehbestände durch Wolfsangst dürfen nicht eingerechnet werden[95][96]. Damit wurde der Versuch, den Wolf für die strukturellen Probleme der Almwirtschaft verantwortlich zu machen, juristisch zurückgewiesen.
- Alternativenprüfung: Behörden müssen wirtschaftliche Kosten von Alternativen (z.B. Herdenschutz) gegen den ökologischen Wert des Wolfs abwägen[65][66]. Nur wenn Herdenschutz extrem unverhältnismäßig teuer/aufwendig wäre, könnte ein Abschuss ausnahmsweise gerechtfertigt sein[66][97]. Diese Hürde liegt sehr hoch – es reicht nicht zu sagen “Zaun schwierig”, man muss es detailliert belegen. In der Praxis hat noch kein Land diese Abwägung überzeugend geführt.
Fazit C-601/22: Das Urteil verschärfte die bereits strengen Vorgaben nochmals und bezeichnete faktisch einen allgemeinen Abschussplan als unzulässig, solange Wölfe nicht zahlreich und stabil vorhanden sind. Es wurde damit zum “faktischen Wolfs-Abschussverbot” in Österreich[98]. Die Bundesländer stehen seither massiv unter Druck, ihre Verordnungen entsprechend anzupassen oder ganz bleiben zu lassen[99]. Dennoch signalisierten einige Politiker, man werde an der Entnahme von “Problemwölfen” festhalten – was neue Konflikte mit EU-Recht erwarten lässt[100][101]. – EuGH C-629/23 (Eesti Suurkiskjad ./. Estnisches Umweltministerium) – Urteil vom 12. Juni 2025: Dieses Urteil betraf Estland, wo der Wolf bereits in Anhang V (geschützt, aber jagdbar) geführt wird[102][103]. Es ist dennoch für Österreich relevant, da es die Anforderungen an Bestandsmanagement bei abgestuftem Schutz klärt. Der EuGH stellte klar, dass auch bei Herabstufung des Wolfs auf Anhang V die Erhaltung eines günstigen Zustands oberste Pflicht bleibt[104][105]. Konkret wurde entschieden: – Ein Mitgliedstaat darf die Jagd (nach Art. 14 FFH-RL für Anhang-V-Arten) nur ermöglichen, wenn die nationale Population sich in günstigem Zustand befindet unddurch die Entnahme nicht in einen ungünstigen Zustand käme[106][107]. – Bei der Bewertung des Erhaltungszustands ist auf die relevante Population abzustellen. In Estlands Fall war strittig, ob man den nationalen oder den gesamteuropäischen Bestand anlegt[108]. Der EuGH entschied im Grunde analog zu C-601/22: Zuerst national/biogeografisch betrachten, wobei eine Art auf nationaler Ebene nicht schlechter gestellt werden darf als auf internationaler. Wenn also in Estland der Wolf z.B. “gefährdet” (IUCN) ist, kann das nicht als günstig angesehen werden[103][109]. – Keine Verwässerung durch sozio-ökonomische Aspekte: Das estnische Gericht fragte, ob man bei der Feststellung des Erhaltungszustands auch kulturelle und wirtschaftliche Aspekte mit einbeziehen darf[110]. Der EuGH verneinte implizit – solche Aspekte spielen erst in der Interessenabwägung eine Rolle, nicht bei der biologischen Statusbewertung. – Sollte eine Population ungünstig sein, müssen Mitgliedstaaten aktive Maßnahmen zu ihrer Verbesserung treffen; jegliche Entnahme wäre dann kontraindiziert[111][112]. Selbst bei günstigem Status sind Jagdbeschränkungen erforderlich, wenn sonst der Status gefährdet würde[104][105].
Dieses Urteil ist insofern brisant, als es in die Zeit fällt, in der auf politischer Ebene über eine EU-weite Schutzstatus-Abstufung des Wolfs diskutiert wird. Tatsächlich hat die EU-Kommission im Herbst 2023 angekündigt, eine Neubewertung vorzunehmen. Es wurde spekuliert, dass Wölfe in Mitteleuropa bald als Anhang-V-Art behandelt werden könnten. Der EuGH hat jedoch mit C-629/23 deutlich gemacht, dass selbst dann kein Freibrief für ungezügelte Bejagung besteht. Schutzmaßnahmen und Monitoring bleiben Pflicht[104][105], Jagdquoten müssen wissenschaftlich fundiert sein und dürften nur sehr vorsichtigfestgelegt werden (im estnischen Fall waren 140 Wölfe pro Saison genehmigt – hier wird nun geprüft, ob das vereinbar ist mit dem Ziel der Bestandserhaltung[113]).
Konfliktlinie und Ausblick
Der Konflikt zwischen EU-Recht und österreichischer (sowie allgemeiner nationaler) Praxis lässt sich wie folgt zusammenfassen:
- EU-Recht fordert den strengen Schutz – bis hin dazu, dass in Ländern mit wenigen Dutzend Wölfen faktisch nicht geschossen werden darf. Die Gerichte verlangen umfangreiche Prüfungen und stellen hohe Beweisanforderungen an jede Ausnahmegenehmigung. Vorrang hat die Arterhaltung auf populationsbiologischer Grundlage.
- Nationale Praxis (Ö) dagegen steht unter politischem Druck, kurzfristig Schäden und Ängste zu adressieren. Mittel dazu sind pauschale Verordnungen, Gebietsausweisungen und eine Abkehr vom Einzelfallprinzip – all das kollidiert mit dem Geist der FFH-Richtlinie. Bisher haben Gerichte in Österreich (LVwG, VwGH) und letztlich der EuGH diese Versuche zurückgepfiffen. Die Wiener Schule befindet sich hier teils in der Zwickmühle: Ihre WÖRP-Konzepte wurden genutzt, um scheinbar “objektive” Lösungen (Zonen, Pläne) anzubieten, doch das EU-Recht betrachtet vieles davon als nicht zulässig.
Derzeit (Stand Oktober 2025) läuft ein Anpassungsprozess: Die Länder nutzen derzeit die Fragwürdigen Interpretationen intensiv bei einer Bejagung des Wolfs aus und haben bereits alleine in Kärnten 25 Wölfe erleget trotz ungünstigen Erhaltungszustands. Sie evaluieren, intern wie sie nach den EuGH-Urteilen weiterverfahren. Gleichzeitig erhöhen agrarpolitische Kräfte den Druck, den Wolf ins Jagdrecht zu überführen. Österreichs Landwirtschaftsminister Totschnig forderte im EU-Agrarrat Juni 2023 “eine praxisnahe Ausnahme vom strengen Schutz”[114], doch diese Vorstöße blieben bisher erfolglos.
Für die Wiener Schule und das Wolfsmanagement im Alpenraum bedeutet dies: Koexistenzlösungen rücken wieder in den Vordergrund (Herdenschutz, Entschädigungen, Umsiedlungen einzelner auffälliger Tiere). Die wissenschaftlichen Akteure in Wien werden verstärkt darauf hinweisen, dass der Wolf mittel- bis langfristig auch positive ökologische Effekte hat (Regulation von Schalenwild, Biodiversität) und dass rechtssichere Lösungen gefunden werden müssen – etwa länderübergreifende Managementpläne, wie sie das Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs erarbeitet. In der öffentlichen Diskussion bleibt die Wiener Schule aber ambivalent verortet: einerseits als Mahnerin zur Besonnenheit und Evidenz, andererseits als Lieferantin der Tools (Planung, Gutachten) für eine Politik der Wolfsreduktion.
Die kommenden Jahre – insbesondere die Entscheidung über den EU-Schutzstatus – werden zeigen, ob sich ein gemeinsamer Weg finden lässt. Dieser müsste sowohl den rechtlichen Vorgaben entsprechen als auch die berechtigten Anliegen der Almwirtschaft berücksichtigen. Derzeit jedoch besteht ein Spannungsfeld: Nationale Verordnungen zur Wolfsentnahme wurden vom EuGH praktisch außer Kraft gesetzt, während der Wolf weiter in neue Regionen einwandert. Es zeichnet sich ab, dass das Modell der Wiener Schule – ein kooperativer Interessenausgleich im Raumplanungsstil – potenziell einen Ausweg bieten könnte, allerdings innerhalb der Schranken des EU-Rechts.
Quellen: Die Informationen in diesem Bericht wurden verschiedenen Fachartikeln, Gutachten und Pressemitteilungen entnommen, u.a. Reimoser & Hackländer (2016)[1][2], offiziellen Landesdokumenten (Vorarlberg 2023)[55], Stellungnahmen der Salzburger Umweltanwaltschaft[50][68], dem Gutachten Norer (2021)[59][61] sowie aktuellen EuGH-Urteilen (2019–2025)[93][104]. Die Akteursdaten basieren auf öffentlichen Profilen und Medienberichten[8][32]. Alle Quellen sind im Text verlinkt.
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[7] [32] [33] [36] [41] [55] [74] Wolfsmanagement – Koordination in Vorarlberg
[8] Microsoft Word – CV_Friedrich Reimoser_2023_english.docx
[11] [PDF] 30 Jahre Wildökologische Raumplanung in Vorarlberg
[12] [13] [14] [26] WÖRP_Bericht-2018-2028_as20171207 END.pdf
[16] [38] [56] Prof. Dr. iur. Roland Norer – Universität Luzern
[17] [48] [49] [50] [68] [73] Microsoft Word – VO Wolf 5.3 5.2 5.1 4.3 4.1 u 3.3 2023.docx
[29] [30] [40] Lebensraum und Konfliktpotenzialmodell für den Wolf in Österreich – LEKO Hatlauf Hackländer.pdf
file://file-63o5NkgkvyfvUCDrvDf4nb
[31] Development of a proposal for a practice-oriented wolf management …
[34] Animal rights activist: “This wolf hysteria must stop” | krone.at
[35] Vetmeduni: FIWI News Archive
[37] Albin BLASCHKA | Managing Director | Dr.rer.nat. | Research profile
[39] Wolf in Tirol: Regierung setzt auf Rechtssicherheit, Opposition auf …
[42] [44] [69] [70] [71] Wolf: Zerreißprobe in Kärnten – news.ORF.at
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[51] [52] [54] Weitere Abschussverordnungen für Wolf | Land Tirol
[57] [59] [60] [61] [62] [PDF] Rechtsgutachten Wolfsmanagement in Österreich – Universität Luzern
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[72] Wolf – Land Salzburg
[75] Weitere Wolf-Risse: Abschussverordnung erweitert – vorarlberg.ORF.at
[76] [77] Wolf in Vorarlberg auf Grundlage von Verordnung geschossen – BVZ
[83] LKÖ und Rechtsexperte Norer: EuGH bestätigt österreichisches …
[84] [PDF] The prohibition of hunting wolves in Austria is valid – CURIA
[85] 62017CJ0674 – EN – EUR-Lex – EUR-Lex
[86] EuGH zum Wolf: Hohe Anforderungen für den Abschuss – LTO
[87] Rechtsprechung EuGH, 10.10.2019 – C-674/17 – d e j u r e . o r g
[88] Hunting of wolves: Judgment of the EU Court in Case C-436/22 …
[89] [102] Case-law – CURIA – Documents – European Union
[91] Ban On Hunting Of Wolves In Austria Still Valid According To The …
[103] [104] [105] [106] [107] [108] [109] [110] [111] [112] [113] EuGH betont Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen und Jagdbeschränkungen auch bei abgestuftem Wolf-Schutzstatus | ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung